Bis dass Mephisto Schauder Euch scheidet

Ich konnte kaum glauben, was ich las. Stimmte das tatsächlich oder spielte mir meine Fantasie einen Streich? Ich sah nochmal genauer hin, wartete ab, bis das Flugzeug möglichst nah bei mir war und las dann nochmal.

 

Doch es stand immer noch dort. Rote Buchstaben auf dem transparenten Banner. Ein Heiratsantrag!

Meine Knie wurde puddingweich und mein Herz klopfte wie verrückt. Ich sah Emmanuel an, und er lächelte nervös. Dann nahm er meine Hand in seine.

Daraufhin begann er zu reden:

"Megara, du hast mich so glücklich gemacht. Ich habe das ja schon bei unserem ersten Treffen geahnt, dass da was besonderes zwischen uns ist. Als du mir zum ersten Mal gesagt hast, das du mich liebst, hier, in diesem Flughafen, da wäre ich fast geplatzt vor Glück. Wir haben ein wunderbares Leben, drei tolle Kinder, und ich glaube, besser könnte es nicht sein. Es ist perfekt, und es gibt eigentlich keinen Grund, an unserem Leben etwas zu ändern". Er machte eine Pause und ich brachte kein Wort heraus. Ich konnte diesen wunderbaren Mann nur anstarren.

Dann sank er plötzlich vor mir auf die Knie.

"Es gibt nur einen einzigen Grund, etwas zu ändern", fuhr er fort. "Und das ist der, dass ich dich so sehr liebe, dass ich möchte, dass du meine Frau wirst. Willst du mich heiraten, Liebes?". Es war so unglaublich, mein Herz klopfte vor Aufregung schnell und laut.

Manu sah mich fragend an, und es gab nur eine einzige Antwort auf seine Frage.

"Natürlich will ich dich heiraten!", sagte ich dann mit einem dicken Kloß im Hals zu ihm. Er stand wieder auf, und ich sank in seine Arme. Mein Puls raste, ich war so völlig überrascht. Und glücklich.  

 

Er wollte mich tatsächlich heiraten!

Wir küssten uns zart, es war, als hätte einzig die Tatsache, dass wir nun verlobt waren, uns wieder etwas Neues gegeben, was wir am anderen erkunden konnten. Und ich fühlte mich tatsächlich anders. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber das Band zwischen uns war noch stärker geworden. Ich war ihm so unglaublich nah.

Wir sagten gar nicht viel in den nächsten Minuten, ich war immer noch sprachlos und überwältigt. Dass Emmanuel heiraten wollte, hatte er nie erwähnt. Und ich fragte mich, wie lange er den Gedanken schon mit sich herumtrug.

"Manu", hauchte ich, "wie lange denkst du schon darüber nach, mir diese Frage zu stellen?", fragte ich ihn deshalb.

"Schon eine ganze Weile", gab er zu. "Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es wäre, dich vor den Altar zu führen"

"Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?", fragte ich ihn schmunzelnd.

"Zu keinem Guten", meinte er trocken. "Kostet ja immerhin einen Haufen Geld für etwas, wodurch sich zwischen uns ja nichts ändert, außer, dass wir dann beide einen Ring am Finger stecken haben". Ein leises Kichern entrang sich meiner Kehle, doch ich riss mich noch zusammen. Ich liebte es, wenn er so sprach.

"Aha", machte ich also. "Und warum flog dann dort oben dieses Flugzeug mit dem Banner herum? War das gar nicht für mich bestimmt?"

"Nun", sagte er, "das war es schon, aber aus einer Laune heraus. Es war ein Sonderangebot, ein Paketpreis: ´Buchen sie einen Flieger mit dem Banner ihrer Wahl und erhalten sie eine Flasche Sekt kostenlos dazu`. Na, den Sekt wollte ich mir nicht entgehen lassen". Seine Mundwinkel zuckten schon verräterisch, und auch ich konnte mir das Lachen nicht mehr verkneifen.

"Gut, dann weiß` ich ja Bescheid!", lachte ich und flog ihm in die Arme. 

Eine halbe Stunde später bekamen wir dann auf dem menschenleeren Aussichtspunkt Besuch. Die Sonne war schon am untergehen, als eine Frau zu uns trat, von der ich wissen hätte müssen, dass sie mit im Boot steckte.

"Na, ihr zwei Turteltäubchen", begrüßte uns Tatjana in ihrer Pilotenkluft. Natürlich, warum war ich da nicht gleich darauf gekommen? Sie war es, die geflogen war! "Darf man denn gratulieren, oder hat dir Meg einen Korb gegeben, Kröte?".

"Du darfst gratulieren, kleine Floh!", sagte Manu grinsend.

"Na, dann!", freute sich Tatjana und umarmte uns beide heftig. "Herzlichen Glückwunsch!"

"Danke", sagten wir, und Manu fügte noch hinzu: "Und auch danke, dass du mitgemacht hast!"

"Das war ja wohl Ehrensache! Ich hätte ja zu gern dein Gesicht gesehen, Meg, als ich mit dem Banner über dich hinweggeflogen bin!".

"Ich habe zuerst gar nichts geblickt und dachte, dass das nur eine Werbung oder so ist. Manu musste mich regelrecht darauf stoßen!", grinste ich.

"Ich hoffe doch sehr, dass sich mein Brüderchen da nicht zu trottelig angestellt hat. Aber ich konnte ja leider, leider nicht dabei sein, um Regieanweisungen zu geben. Denn er hatte mir ja schon eine ganz andere Rolle zugedacht".

"Floh, jetzt ist es aber genug!", lachte Manu. Ich hörte ihm an, dass er in keinster Weise böse auf seine kleine Schwester war.

"Er hat seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht", sagte ich dann und dachte wieder an diesen wunderbaren Heiratsantrag.

"Dann ist es ja gut", sagte Tatjana zufrieden. "Was habt ihr heute noch vor? Fahrt ihr zurück nach Sunset Valley oder übernachtet ihr hier?", fragte sie uns.

"Wir fahren zurück, morgen ist ja frei und wir wollen bei den Kindern sein", antwortete ich.

"Natürlich", sagte Tatjana verständnisvoll. "Dann will ich euch auch nicht länger stören. Ihr habt ja sicher noch was zu feiern", zwinkerte sie so offensichtlich, dass es keine Frage war, an was sie dachte.

"Das werden wir dir gerade auf die Nase binden!", frotzelte Manu, und drückte dann aber seine Schwester zum Abschied.

"Wir sehen uns!", sagte sie dann zu mir und umarmte mich.

"Ja, und danke!", bedankte auch ich mich, doch sie zwinkerte nur wieder und ging dann. Kurz darauf verließen auch Manu und ich den Flughafen.

Die Fahrt zurück nach Sunset Valley hatte sich wie Kaugummi gezogen. Aber ich ließ mir alles hundert Mal erzählen, wie er diesen Antrag geplant hatte. Ich konnte es immer noch kaum glauben, dass ich wirklich gar nichts bemerkt hatte. Manu freute das aber sehr, denn er hatte immer wieder Bedenken gehabt, ob ich nicht doch was mitbekam.

 

Als wir nach Hause kamen, war es im ganzen Haus schon ganz ruhig und wir verschwanden sofort in unserem Schlafzimmer. Die ganze Autofahrt über hatte sich so eine unglaubliche Spannung aufgebaut, die wir nun endlich lösen konnten. Auf die wohl schönste Art, die es gab.

Notenbild ist verlinkt und führt zu einem Video.

Achtung: Durch den Klick auf das Bild kommt ihr auf eine andere Homepage!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am nächsten Morgen wachte ich noch vor dem Sonnenaufgang auf. Manu lag neben mir und ich betrachtete ihn einfach nur. Er wollte mich wirklich heiraten! Wir würden Mann und Frau sein, mit einem Ring am Finger, der uns verband. Ich fühlte mich einfach wunderbar und wäre ihm am Liebsten nie wieder von der Seite gewichen.

 

Nur ein paar Minuten später wachte auch er auf.

"Hey, du beobachtest mich doch nicht?", fragte er noch verschlafen. Ich streichelte über seine Wange und lächelte.

"Niemals!"

"Dann ist es ja gut", murmelte er, bevor er mich fest in den Arm nahm. Jetzt, da wir beide wach waren, kamen wir natürlich auf die bevorstehende Hochzeit zu sprechen. Irgendwann stellten wir uns ans Fenster und sahen in die noch tiefschwarze Nacht hinaus.

"Manu, wie du ja weißt, bin ich nicht gerade der Fan von großen Feierlichkeiten", warf ich sachte ein, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, ein riesiges Fest zu feiern. Nach wie vor fühlte ich mich da sehr unwohl dabei, auch wenn das natürlich im Gegensatz zu früher besser geworden war.

"Das weiß ich", sagte Manu an meinem Ohr. "Und das ist überhaupt kein Problem, ich brauche das auch nicht. Unsere Verwandten und die engsten Freunde hätte ich aber gerne dabei"

"Ja, ich auch", sagte ich zu ihm. Es würde eine kleine Hochzeit werden, denn wir beide hatten ja nicht viel Familie. Alle meine Großeltern lebten nicht mehr, bei Manu gab es nur noch seine Schwester. Und wir hatten einen kleinen, dafür aber feinen Freundeskreis.

Am Morgen gingen wir gemeinsam zu den Mädchen, als sie wach wurden. Emmanuel holte Viola aus ihrem Bettchen und sagte zu dem perplexen Kind:

"Sie hat ja gesagt, Süße! Stelle dir das mal vor!". Viola sah ihren Vater an, als müsste sie sich um dessen Geistesgesundheit Sorgen machen und ich lachte in mich hinein.

Sven war schon draußen im Garten und spielte im Sandkasten. Doch als er mich an der Terrassentür stehen sah, kam er zu mir gelaufen.

"Hallo, mein Lieber!", begrüßte ich ihn und umarmte meinen Sohn. "Hattest du gestern einen schönen Tag?"

"Ja, alles klar", sagte er flapsig.

"Hast du noch mit Gustavo gespielt?", fragte ich weiter. Gustavo Junggesell war ein Klassenkamerad, mit dem er sich gut verstand und mit dem er sich befreundet hatte. Die beiden trafen sich auch oft mittags zum Spielen.

"Jo, ein bisschen", antwortete er knapp. Nun, sehr gesprächig war Sven nicht, er war eher ein stilles Kind, aber das war in Ordnung. Seine Klassenlehrerin war ebenfalls zufrieden und es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Und wer könnte ihn besser verstehen als ich? 

 

Ich überlegte kurz, ob ich ihm von Manus Heiratsantrag erzählen sollte, denn irgendwann musste man das ja sagen. Dann hielt ich es allerdings für wenig angebracht, das so zwischen Tür und Angel zu erzählen und hoffte, dass sich bald ein besserer Zeitpunkt finden würde.

Später gingen wir mit unseren Mäusen spazieren. Manu schob Viola vor sich her, ich Madeleine.

Emmanuel ging dann an einem Sonntag ein paar Tage nach dem Heiratsantrag mit Sven zum Angeln. Diese "Männertage" machten die beiden immer mal wieder, und schon allein für das liebte ich Manu. Er hatte Sven angenommen, als wäre er sein eigener Sohn. Manu erzählte mir später ein wenig von dem Sonntagnachmittag, den die beiden an einem nahe gelegenen See verbracht hatten.

"Sag` Großer: Wie läuft es in der Schule?", hatte Manu Sven gefragt. Woraufhin dieser nur gemault hatte:

"Nervig!" 

"Ach ja? Warum denn das?".

"Ach, die Mädchen sind so doof! Die sind soo zickig! Das macht echt keinen Spaß!", war Svens entnervte Antwort gewesen.

Manu hatte sich das Grinsen nicht verkneifen können. Aber da Sven etwas hinter Manu gestanden war, war es ihm nicht möglich gewesen, das zu sehen.

"Aha", hatte Manu gemacht. "Auch Sabrina?". Meine Cousine war in der gleichen Klasse wie Sven, obwohl sie fast ein Jahr älter war als er, was mit dem Stichtag zur Einschulung zusammenhing. So war Sven noch nicht lange sechs Jahre alt gewesen, als er eingeschult worden war, und Sabrina schon fast sieben. Bis jetzt hatten sich die beiden immer gut verstanden.

"Naja", hatte Sven kleinlaut gesagt, "Sabrina nicht. Die zickt aber auch nicht so!"

"Nicole?", hatte Manu weiter nachgehakt und damit die Tochter von meiner Freundin Susanne und ihrem Mann, unserem früheren Klassenkameraden Heiko Clemens, gemeint. Sie war eine Klasse unter Sven und eben erst eingeschult worden.

"Nervig!", war es sofort von Sven gekommen, und Emmanuel hatte leise in sich hinein gelacht.

"Und deine Schwestern?"

"Das sind doch noch Babys!"

"Ach ja, natürlich", hatte Manu gegrinst.

Nachdem die beiden eine Weile still weiter geangelt hatten, hatte sich dann Manu an das Thema "Hochzeit" angetastet.

"Sven, was würdest du sagen, wenn Mama und ich heiraten würden?"

Da war Sven still geworden.

"Weiß nicht", hatte er dann irgendwann gesagt. "Ändert sich da was für mich?"

"Nicht das Geringste, Großer!", hatte ihn Manu beruhigt. "Alles würde bleiben, wie es ist. Nur das ich mit Mama verheiratet wäre, das wäre alles. Du wirst davon gar nichts merken".

"Warum wollt ihr dann überhaupt heiraten?", war daraufhin von Sven gekommen.

"Naja", hatte Manu versucht, diese für ein Kind schwierige Frage zu beantworten, "weißt du, Mama und ich haben uns so lieb, und wenn das so ist, wollen manche Erwachsenen eben heiraten".

Wieder war Sven eine Weile still geblieben, bevor er gesagt hatte:

"Dann ist es mir egal". 

"Das ist prima", hatte Manu geantwortet. "Deine Meinung ist uns schließlich sehr wichtig".

 

Damit war also auch Sven eingeweiht. Meinen Eltern und Sam hatten wir es schon beim gemeinsamen Abendessen einen Tag nach Manus Heiratsantrag gesagt. Die Reaktionen waren einhellig positiv, obwohl es sich Sam natürlich hatte nicht verkneifen können, ein "Das wurde aber auch Zeit!" hinterherzuwerfen. Und das von ihm, der wahrscheinlich nicht einmal wusste, wie man "feste Beziehung" schrieb.

Nachdem dann also die wichtigsten Personen von unserer bevorstehenden Heirat wussten, begannen dann auch so langsam schon die Planungen. Allerdings war alles noch entspannt, obwohl ich mir sicher war, dass das kurz vor der Hochzeit anders sein würde. Ganz zu schweigen davon, dass ich dann auch bestimmt aufgeregt war. Jetzt aber hatten wir noch über vier Monate Zeit.

 

Da das Wetter so schön war, hielten wir uns oft im Garten auf. Den Mädchen gefiel der Sandkasten ebenso gut wie Sven, und ich ließ sie dort viel spielen.

Ich liebte meine drei Kinder so sehr und zeigte ihnen das so oft es ging. 

 

Allerdings würde ich in der nächsten Zeit wieder öfter in die Firma müssen, denn jetzt im Sommer gab es einfach saisonbedingt mehr zu tun. Deshalb hatten wir auch die Hochzeit auf den September gelegt, wenn der große Rummel wieder abebben würde.

Die Mädchen wagten auch schon ihre ersten Schritte, Viola ging sogar schon ein paar Schritte allein. Aber ich ermutigte auch Maddy und sagte zu ihr:

"Komm` Süße! Du kannst das, das weiß ich!". Ich lächelte sie aufmunternd an, und sie stolperte mir tatsächlich ein, zwei Schritte entgegen.

Sam gesellte sich zu uns und sagte zu Viola:

"Los, Champ! Komm` mal zu mir!"

"Champ!", sagte ich zu Sam, "Was Besseres fällt dir wohl nicht ein?" 

"Natürlich Champ! Gell, Viola? Ja, du machst das prima!". Viola lief jetzt fünf, sechs Schritte auf Sam zu.

"Sag` mal Meg", wandte sich dann Sam an mich, "du brauchst nicht zufällig einen Trauzeugen, nein?". Ich schmunzelte ihn an.

"Hm", machte ich, "wahrscheinlich schon. Das muss ich mir noch genau überlegen, wen ich da nehmen werde". Ich wollte ihn ein bisschen aufziehen, klar. Denn es war eigentlich schon selbstverständlich, dass er mein Trauzeuge sein würde. Natürlich war auch Susanne meine beste Freundin, aber Sam war schon mehr wie ein Bruder. Und ich war mir sicher, dass auch Susanne das verstehen würde, denn sie wusste ja auch, dass wir schon seit dem Windelalter befreundet waren.

"Darf ich dir da jemanden empfehlen?", fragte er schelmisch grinsend.

"Nur zu. Aber ob das dann was bringt, weiß ich auch nicht!", sagte ich großzügig. Wir alberten noch eine Weile so herum, bis ich ihn dann wirklich fragte, ob er mein Trauzeuge sein wollte. Dem er dann freudig zustimmte.

 

Dann fiel mir noch etwas anderes ein, was ich ihn fragen wollte.

"Sam, hast du zur Zeit eine Freundin? Die dürfte selbstverständlich mit auf die Hochzeit, das ist ja klar!"

"Hm, ich weiß nicht, ob ich sie da mitnehme. Das ist alles noch so frisch", sagte Sam.

"Dann hast du also eine Freundin? Wie heißt sie?"

"Maria. Aber plane sie mal lieber nicht ein, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schon nach ein paar Wochen auf eine Familienfeier mitgehen möchte". Ich war fast enttäuscht, denn ich hätte wirklich gern eine liebe Frau an Sams Seite gesehen. Aber wenn sie das nicht wollte, konnte ich das ja leider nicht ändern.

"Vielleicht lerne ich sie aber bald mal kennen. Bring` sie doch mal mit!". Nun grinste Sam.

"Klar, Mama. Backst du uns dann auch einen Kuchen?". Ich knuffte ihn in die Seite, so dass er schon fast das Gleichgewicht verlor. "He!", protestierte er lachend. "Das erinnert mich jetzt sehr an den Tag, als du Emmanuel zum ersten Mal hierhergebracht hast. Ihr hättet euch mal sehen sollen! So nervös habe ich dich seither nicht mehr gesehen!", grinste er.

"Und das ist jetzt so witzig?", tadelte ich ihn. "Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb du deine Maria nicht mitbringst. Weil du vor Nervosität umkippen würdest!"

"Sicher", sagte er triefend sarkastisch. 

Ich war nun wieder zwei- bis dreimal in der Woche in der Firma, schon allein, um Emmanuel zu entlasten. Er schlief inzwischen unter der Woche schon mehr hier in Sim City als zu Hause, um die Fahrzeit zu sparen, die er dann in der Firma verbrachte. Da wir zusätzlich mitten in den Hochzeitsvorbereitungen steckten, war das alles andere als schön. 

 

Ich sah mir die Zahlen an, die mir unser Lagerleiter geschickt hatte. Unser Lager befand sich am Stadtrand von Sim City, direkt am Hafen, so dass Ware nicht nur per Flugzeug, Zug und mit Lastwagen, sondern auch auf Schiffen transportiert werden konnte. Und dieses Lager platzte inzwischen aus allen Nähten. Die Bestellungen für die neuen Produkte hatten die Kapazität an die Grenzen gebracht.

Dieses Problem musste ich mit Manu besprechen, er konnte sicher eine Prognose für die Zukunft abgeben, was die künftigen Bestellungen anging. Also ging ich hinaus in das Vorzimmer.

"Ulrike", sagte ich zu unserer Sekretärin, die ich seit einiger Zeit schon duzte. "Ich bräuchte die Liste, auf der zu sehen ist, wie die Bestellungen unserer neuen Produktlinie in den letzten Monaten angestiegen sind. Bei mir ist die nicht".

"Diese Liste ist hier", sagte sie und nahm sie von ihrem Schreibtisch. "Ich habe sie gestern nachmittag aktualisiert, weil wir ja schon wieder ein neues Quartal haben".

"Danke, das ist ja hervorragend!", freute ich mich. "Außerdem nehme ich die Lagerbücher der letzten drei Jahre noch mit, die befinden sich im Archiv, oder?"

"Die bis Ende letztes Jahr, ja. Das aktuelle hat Herr Molcher vom Lager bei sich".

"Gut, dann hole ich mir die, die da sind, und fordere das aktuelle von Herrn Molcher noch an", sagte ich und wollte schon gehen, als Ulrike noch anfügte:

"Die Lagerprobleme sind nicht besser geworden, oder?". Ich lächelte sie schief an.

"Nein, im Gegenteil. Ich weiß auch nicht, wie wir das lösen sollen, aber wir müssen lieferbar bleiben, das ist ganz klar. Im Moment haben wir die Lieferzeiten unserer großen Geräte verlängert, damit wir die nicht mehr am Lager haben müssen. Die werden direkt nach der Produktion an die Kunden geliefert. Wir haben dadurch ordentlich Platz gewonnen, aber das kann nicht die Lösung sein. Ich schätze, wir werden um eine neue Lagerhalle nicht herum kommen".

"Ich denke, darauf wird es hinauslaufen", stimmte auch Ulrike zu.

"Ja, doch wo und mit welchen Mitteln, das muss abgeklärt werden. Aber besser, unser Lager platzt aus allen Nähten, weil wir soviele Aufträge bekommen, wie dass das anders herum wäre", sagte ich.

Ich nahm die Liste an mich und ging dann noch in unser Archiv, aus dem ich die Lagerbücher der letzten drei Jahre holte. Mit diesen Dingen unter dem Arm ging ich dann zu Manu.

An seiner Tür angekommen stieß ich diese auf, ohne zu klopfen, so, wie wir das die letzten Jahre immer getan hatten. Mein Blick flog förmlich zu den zwei Menschen, die in der Mitte des Büros standen: Emmanuel und Sophie. Manu hatte mir den Rücken zugewandt, dafür sah mich Sophie an. Als ich das Zimmer betrat, blitzten ihre Augen vergnügt auf, ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

Dann zog sie Emmanuel zu sich heran und küsste ihn.

Es waren nur drei Sekunden, die ich diese Szenerie vor Augen hatte. Drei lange Sekunden. Wie erstarrt sah ich die beiden an, konnte mich nicht bewegen. Doch dann ließ ich einen spitzen Schrei los, die Unterlagen glitten aus meinen Händen.

Alles schwamm vor meinen Augen, ich konnte nicht sagen, was die beiden nun taten. Ich wusste nur, dass ich keine Sekunde länger hier bleiben konnte.

Notenbild ist verlinkt und führt zu einem Video.

Achtung: Durch den Klick auf das Bild kommt ihr auf eine andere Homepage!

Also rannte ich los, weg, einfach weg von diesem schrecklichen Bild, das sich mir nur leider in die Netzhaut eingebrannt hatte und mich verfolgte. Selbst, als ich das Firmengebäude schon hinter mir gelassen hatte und einfach irgendwohin rannte, sah ich immer noch Sophies und Emmanuels Lippen zu einem Kuss vereint vor mir.

Irgendwann nahm ich die Umgebung wieder bewusst wahr. Ich war auf einer Wiese gelandet, irgendwo in der Nähe von Sim City, doch die Stadt hatte ich schon eine ganze zeitlang hinter mir gelassen. Die Blütenpracht dieser Wiese hier hätte ich sicher ganz bezaubernd finden können, wenn ich nicht so unendlich erschüttert gewesen wäre. Die Tränen rannen mir lautlos über die Wangen und meine Gedanken kreisten wild durcheinander. Emmanuel und Sophie hatten sich geküsst. Dieses Bild würde mich sicher noch bis in meine Träume verfolgen.

Es tat so weh. Ich verlangsamte meine Schritte, weil ich urplötzlich völlig kraftlos wurde. Völlig zerschlagen ließ ich mich auf meine Knie fallen und weinte. Die Tränen flossen nun in Sturzbächen aus meinen Augen und die Gedanken schlugen Purzelbäume.

 

Emmanuel.

 

Ich würde ihn verlieren. Er hatte sich ganz offensichtlich in meine Assistentin verliebt. Jetzt sah ich diese ganzen Überstunden der letzten Wochen noch in einem ganz anderen Licht. Natürlich hatten wir gerade viel zu tun, das wusste ja keiner besser als ich. Und auch wenn ich ebenfalls oft in Sim City gewesen war, hatten wir uns trotzdem manchmal tagelang nicht gesehen, während sie ihm zehn, elf Stunden am Tag vor der Nase gesessen war. Sophie war so viel hübscher als ich. Sie hatte die schöneren Augen, das hübschere Gesicht, einen wohlproportionierten Körper, sie war gebildet, hatte ein umwerfendes Lachen, war fleissig und nicht auf den Mund gefallen. Sie war alles – und ich nichts.

Ich saß Ewigkeiten auf der Wiese und hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Da es noch hell war, wusste ich wenigstens, dass ich nicht schon viele Stunden so da saß, was ich durchaus in Erwägung gezogen hätte. Alles war so unwirklich geworden. Gerade hatte ich noch mitten in den Hochzeitsvorbereitungen gesteckt, und jetzt musste ich mit einem gebrochenen Herzen kämpfen.

 

Dabei war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis so etwas passierte. Dieser trübe Gedanke huschte so schmerzhaft durch meinen Kopf, dass es mich vor Verzweiflung schüttelte. Meine Güte, hatte ich wirklich gedacht, dass ich einen Mann ein Leben lang würde an mich binden können? Dass ich so liebenswert war, dass der Mann keine andere Frau mehr brauchte? Wie dumm von mir. Die letzten, glücklichen Jahre mit Emmanuel hatten es in den Hintergrund gerückt, aber deshalb war die Wahrheit immer noch da. Deshalb hatte sich nichts geändert. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, deshalb traf es mich nun unerwartet. 

 

Ich hätte klüger sein sollen. 

 

Plötzlich klingelte mein Handy. Ich sah automatisch auf das Display. „Schatz“ stand da. Ich drückte ihn unter einem erneuten Schwall Tränen weg. Ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als das Handy wieder klingelte. Wieder war es Manu, wieder nahm ich nicht ab.

Zwei Minuten später klingelte es erneut, diesmal war es meine Mutter. Aha, Emmanuel hatte also dort angerufen. Das schlechte Gewissen traf mich, denn sie machten sich Sorgen zu Hause, auch wenn sie mich an dem Abend nicht erwartet hatten. Wegen der vielen Arbeit wäre ich heute so oder so in Sim City geblieben. Gemeinsam mit Manu bei Tatjana... ich versuchte, meine Gedanken wieder zu meiner Mutter zu lenken. Also trocknete ich meine Tränen schnell und nahm dann ab.

„Kind, wo steckst du? Wir machen uns alle schon solche Sorgen!“, sprudelte es aus meiner Mutter heraus. Kind nannte sie mich manchmal in Situationen, in denen sie besonders aufgeregt war. Und dass sie gerade aufgeregt war, hätte ich auch ohne dieses Wort leicht erraten.

„Mir geht es gut“, sagte ich mit einer Stimme so rau wie ein Reibeisen. 

„Das kann ich mir nicht vorstellen, du hörst dich furchtbar an! Emmanuel hat gesagt, dass du weg bist! Was ist los? Er hat nichts erzählt, aber es stimmt doch etwas nicht! Mir wäre wohler, wenn du jetzt hier wärst!“

„Ich bin noch in Sim City“, sagte ich beruhigend und hätte mir am Liebsten auf die Zunge gebissen. Denn das erzählte meine Mutter sicher gleich Emmanuel, der sich dann auf die Suche machen würde. Und der letzte Mensch, auf den ich jetzt treffen wollte, war er.

„Ich... komme klar. Ich komme morgen zu euch, macht euch keine Sorgen“

„Aber Megara...!“, begehrte meine Mutter schon auf, doch ich unterbrach sie kraftlos:

„Bis morgen. Drücke mir die Kinder“, dann legte ich schnell auf und war schon dabei, das Handy ganz auszuschalten, als ich die Zeichen auf dem Display bemerkte, die mir sagten, dass ich neue Nachrichten und verpasste Telefonate hatte.

 

Sechs Anrufe von Manu, die ich gar nicht alle mitbekommen hatte, weil ich so kopflos durch die Gegend gerannt war. Zwei Nachrichten auf der Mailbox. Ich zögerte eine Weile, ob ich die abhören sollte. Es würde mich sicher schmerzen, seine Stimme zu hören. Doch dann drückte ich die Tasten, die mich zu meiner Mailbox leiteten. Angespannt hielt ich den Hörer an mein Ohr.

"Megara, wo bist du?", hörte ich seine aufgeregte Stimme, und schon wieder traten Tränen in meine Augen. "Bitte melde dich, ich mache mir Sorgen!". Nichts weiter. Dann kam schon die zweite Nachricht.

"Meg, wir müssen dringend reden! Aber nicht am Telefon, bitte rufe mich an, damit wir uns treffen können! Und melde dich bitte bald, ich komme hier um vor Sorge!". Damit war auch diese Nachricht zu Ende und ich machte mein Handy aus. Meine Mutter hatte ihn inzwischen bestimmt benachrichtigt, dass es mir gut ging, da war ich mir sicher. Und ich konnte jetzt nicht mit ihm reden. Ich wusste ja, was er mir sagen wollte, und das verkraftete ich heute einfach nicht. Nicht in diesem Zustand.

 

Dann schaltete ich das Handy aber noch mal ein, um ihm eine kurze SMS zu tippen. >Es geht mir gut< war alles, was ich schrieb. Ich wollte nicht, dass er stundenlang nach mir suchte. Und dass es mir schlecht ging, nun, das musste ich ihm ja nicht gerade auf die Nase binden. Wenn er sich das nicht selbst denken konnte...

 

Schließlich machte ich das Handy aber dann wirklich komplett aus und steckte es ein.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte einfach noch nicht mit Manu reden, deshalb sollte ich die Nacht irgendwo verbringen, wo er nicht war. Aber wo war er? Zuerst ging ich dann aber wieder zurück zur Firma, weil dort noch meine Handtasche samt Geld und Papieren war.

 

Alles war verlassen, als ich das Gebäude betrat. Die Angestellten waren in ihrem wohlverdienten Feierabend, und ich würde mir jetzt die Handtasche schnappen und mit dem Taxi irgendwohin fahren. Unser Auto stand nicht mehr auf dem Parkplatz, Manu hatte es wohl mitgenommen.

Im Büro rief ich dann aber Sam auf dem Handy an. Vielleicht wusste er ja, wo Manu war, und er würde mich nicht verraten, wenn ich ihn bat, Emmanuel nichts zu sagen.

Als er abnahm, zögerte ich kurz, bevor ich sagte:

"Sam? Ich bin es". Meine Stimme hörte sich furchtbar an, doch er hatte mich natürlich erkannt.

"Meg, um Gottes Willen!", rief er aus.

"Bist du allein?", wollte ich wissen, denn niemand sollte jetzt von diesem Anruf erfahren.

"Ja, ich bin in meinem Zimmer, weil ich gerade eine Jacke und den Geldbeutel geholt habe, um mich dann auf den Weg zu machen, um dich zu suchen! Wir sind hier alle völlig durch den Wind, Emmanuel hat hier schon mindestens zwanzig Mal angerufen. Er sucht dich schon den ganzen Abend!"

Er suchte mich also immer noch...

"Sam, ich habe ihm gesimst, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich werde das alles morgen mit ihm regeln, aber jetzt geht es nicht"

"Was ist denn nur passiert?", fragte er besorgt.

"Ich...", stammelte ich und stockte dann, weil dieses Bild schon wieder vor meine Augen auftauchte.

"Er hat sie geküsst, Sam. Er hat Sophie geküsst".

"Was?", kreischte Sam ins Telefon. "Das kann nicht sein!". Obwohl ich schon ganz ausgetrocknet sein müsste, traten mir schon wieder die Tränen in die Augen.

"Ich habe es selbst gesehen", sagte ich brüchig. Sam war kurz still, dann sagte er:

"Okay, das habe ich jetzt nicht erwartet. Ich verstehe, dass du durch den Wind bist, aber du solltest wirklich nach Hause kommen..."

"Er hat das Auto", sagte ich tonlos.

"Verdammt! Daran habe ich nicht gedacht!", ärgerte sich Sam. "Also, dann machen wir es anders: Du hast doch Geld oder eine Kreditkarte bei dir, oder?". Ich blickte auf die Handtasche, die in meinem Schreibtisch verstaut lag.

"Ja", sagte ich.

"Okay. Nehme dir ein Taxi und komm` erstmal her. Alles andere regeln wir dann morgen.

"Wenn aber Manu kommt? Ich kann heute noch nicht mit ihm reden!"

"Lass` das mal meine Sorge sein! Aber jetzt kommst du erst einmal nach Hause, ja?"

Was blieb mir auch anderes übrig?

"Okay. Ich bin dann in spätestens drei Stunden da", sagte ich.

"Ich warte auf dich! Und ich gebe Gabriel und Pauline Bescheid, die beiden stehen kurz vor einem Kollaps"

"Aber ich habe doch mit meiner Mutter gesprochen..."

"Ja", lachte Sam auf, "Aber glaubst du, dass sie sich deshalb keine Sorgen mehr macht? Ich warte auf dich". Voller Schuldgefühle legte ich auf. Natürlich machten sich alle Sorgen. Was hatte ich denn gedacht? Da war ich stundenlang herumgeirrt, niemand hatte gewusst, wo ich war, und das sollte ihnen nichts ausmachen? Mit einem lauten Seufzer rief ich noch die Taxizentrale an, bestellte mir ein Taxi und ließ das Handy zurück in meine Hosentasche gleiten.

Ich wollte gerade nach meiner Handtasche greifen, als plötzlich die Tür zu meinem Büro aufging und Sophie hereinspazierte. Sophie!

„Hallo, Megara! Wusste ich es doch, dass du noch deine Sachen holen würdest!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Sie hatte also auf mich gewartet, und ich fühlte mich ihr schrecklich ausgeliefert. Dabei war ich ihre Chefin, doch ich war so unsicher wie schon lange nicht mehr. Sie war mir deutlich überlegen.

„Was willst du noch hier?“, fragte ich tonlos.

„Ach, Megara. Warum so aggressiv? Wir können doch ganz normal miteinander reden, oder?“, lachte sie, schloss die Tür, und kam zu mir.

„Ich wüsste nicht, was ich mit dir noch zu bereden hätte“, sagte ich kühl, was mich aber so unendlich viel Kraft kostete. Natürlich bemerkte sie das, grinste noch breiter und kam einen Schritt auf mich zu.

„Ich möchte mit dir reden, Chefin“, sagte sie und betonte das letzte Wort auf so eine abwertende Weise, dass es sich wie Hohn anhörte. Ihr Selbstbewusstsein war dem meinen so unendlich größer.

„Wer sagt, dass ich mit dir reden möchte? Du hast doch bekommen was du wolltest! Was willst du also noch? Du darfst mir höchstens noch sagen, dass du fristlos kündigst. Alles andere interessiert mich nicht mehr“, warf ich ihr entgegen. Doch sie lachte nur.

„Megara, deshalb möchte ich mit dir reden. Ich möchte dir ein Angebot machen, und ich finde, es ist ein sehr gutes Angebot das du nicht ausschlagen solltest“. Sie machte eine kurze Pause, in der sie wohl sichergehen wollte, dass ich ihr zuhörte, und da mir nichts anderes übrig blieb, wenn ich sie nicht gewaltsam auf die Seite schieben wollte, sagte ich nichts mehr.

„Gut“, sagte sie dann, „höre mir zu: Wie du ja heute gesehen hast, findet mich dein Verlobter – nun, wie soll ich sagen? Anziehend? Attraktiv? Wie auch immer. Und, meine Liebe, nehme es mir nicht übel, aber Männer stehen eben auf Frauen wie mich. Und ich finde ihn heiß, schon lange übrigens. Als ihr zusammengekommen seid war das für mich ganz schön übel, deshalb habe ich sofort dieses Gerücht gestreut, dass ihr zusammen seid. Ich wollte es euch ein bisschen schwer machen, um ihn erobern zu können. Doch dann habe ich einen anderen Plan entwickelt. So gegen Frischverliebte kommt man ja nicht an, oder?". Sie grinste mich an und mein Herz klopfte wie wild. Sie war das also gewesen. Das hieß dann wohl, dass sie Manu schon fast von Anfang an wollte. Und das hatte sie nun scheinbar erreicht. 

„Was willst du?“, fragte ich sie heiser.

„Nur ab und zu ein bisschen Spaß mit deinem Mann, meine Liebe. Er ist ein toller Mann, und er hat es doch verdient, auch mal so eine Frau wie mich in den Händen halten zu dürfen, oder?“. Mir schwankte der Boden unter den Füßen. Das hatte sie doch nicht ernsthaft vorgeschlagen?

„Warum den Umweg machen und nur eine kleine Affäre sein? Du könntest ihn doch ganz für dich alleine haben, wie man ja heute gesehen hat“, fragte ich sie mit dem letzten an Mut, was ich noch zusammenkratzen konnte. Jetzt lachte sie hart auf.

„Oh, Megara! Was würde er mir bringen, wenn er mir allein gehören würde, du uns aber beide entlässt! Ich will keinen arbeitslosen Lover. Ganz im Gegenteil, ich wäre nicht abgeneigt, wenn du mir als kleinen Dank für mein Entgegenkommen eine nette Gehaltserhöhung und einen etwas größeren Firmenwagen geben würdest. So ein paar Tage mehr Urlaub im Jahr wären auch nicht schlecht, schließlich möchte ich den ja auch mit Emmanuel genießen“. Mir wurde schlecht, die Dreistigkeit dieser Person nahm gerade astronomische Formen an. Denn es war ganz klar, was sie wollte: Mehr Geld und Sex mit Manu, dafür durfte ich ihn also behalten. Das war ja krank.

„Du bist verrückt“, sagte ich leise, doch sie grinste nur.

"Dafür verspreche ich dir aber auch, dass ich hier in der Firma weiterhin Gas geben werde! Du weißt, dass ich schon fast unentbehrlich hier bin, ein großer Gewinn für die Firma. Ihr habt mir das wieder und wieder gesagt". Das stimmte leider. Sie arbeitete außerordentlich gut, was wir ihr auch immer wieder bescheinigt hatten. Vermutlich hatte sie diesen Plan schon lange verfolgt. Sich hier zuerst unentbehrlich machen, und dann zuschlagen. Raffiniert. Der Zeitpunkt jetzt war alles andere als zufällig gewählt, jetzt, wo ich vor der Hochzeit mit Manu stand. "Und Megara, das ist doch wirklich ein faires Angebot! Es würde sich doch für dich nichts ändern! Du könntest deine Traumhochzeit feiern und würdest nicht plötzlich mit drei kleinen Kindern alleine dastehen. Ich arbeite weiterhin gut für diese Firma, das verspreche ich. Nur ab und zu werde ich deinen Mann verwöhnen, und das wirst du ihm doch gönnen, oder?". Sie sah mich von oben herab an, und ich war kurz davor, mich zu übergeben.

"Weiß er davon?", presste ich heraus. Ich konnte es mir in hundert Jahren nicht vorstellen, dass Emmanuel so einer Vereinbarung zugestimmt hätte. Er war ein geradliniger Mann.

"Gott bewahre!", lachte Sophie wieder auf. "So etwas darf man einem Mann doch nicht sagen! Nein, das würde hübsch unter uns bleiben".

 

Ich sah in ihre Augen, die belustigt blitzten. Ich sah noch einmal ihren Kuss mit Emmanuel. Und dann, urplötzlich, strömte da noch einmal ein kleiner, letzter Funken an Kraft durch meinen Körper. Emmanuel würde mich niemals betrügen. Er hatte sich vermutlich in sie verliebt, das ja, das hatte ich ja gesehen. Ein Kuss war ein Kuss. Aber er würde einen klaren Strich ziehen. Niemals würde er sich auf so etwas einlassen! Ich atmete tief ein und aus. Diese Frau war mir zwar überlegen, aber ich saß am längeren Hebel.

"Du bist fristlos entlassen, Sophie. Denn wie du selbst gesagt hast, bist du nur fast unentbehrlich. Versuche erst gar nicht, mir noch einmal unter die Augen zu kommen".

"Was?", fragte Sophie fassungslos. "Du kündigst mir? Aber du wirst Emmanuel verlieren, das ist dir doch klar!". Ich sah sie an und wusste natürlich, dass sie recht hatte.

"Ja", sagte ich tonlos. "Aber dein Vorschlag ist einfach nur krank. So etwas mache ich nicht. Und so etwas macht auch Emmanuel nicht"

"Aber...", versuchte sie wieder etwas zu sagen, doch ich unterbrach sie:

"Was machst du denn noch hier? Du bist entlassen, schon vergessen?". Sie schluckte, starrte mich sekundenlang an. Und bevor sie dann tatsächlich hinaus ging, zischte sie mir zu:

"Habe ein schönes, einsames Leben, Megara!"

 

Kraftlos sank ich auf den Boden, als sie endlich weg war. Hatte ich es wirklich geschafft, dieser Person die Worte in genau dem Moment zu sagen, in dem ich es auch sagen wollte? Und nicht wie sonst, wenn mir manchmal erst Stunden später die passende Entgegnung eingefallen war. Wenigstens etwas. Doch trösten konnte mich das im Moment auch nicht. Denn diese Person hatte etwas viel Besseres für ihren Arbeitsplatz erhalten: Nämlich Manu. Und während ich auf das Eintreffen des Taxis wartete, fragte ich mich, wann ich aus diesem Albtraum wieder aufwachen würde.

Ich kam erst spät zu Hause an, alles war schon ganz ruhig, sowohl in der Stadt als auch im Haus. Nur im Flur und im Wohnzimmer war noch Licht, und ich hoffte doch sehr, dass es nicht Manu war, der dort auf mich wartete.

Doch es war nicht Emmanuel, der auf mich wartete, sondern Sam.

"Meg!", rief Sam aus, als er mich bemerkte, und ich sank ihm sofort an die Schulter.

"Oh Sam", schluchzte ich, "das war alles so furchtbar! Ich bin fix und fertig!"

"Das glaube ich dir! Jetzt ruhe dich erst mal aus, morgen können wir in Ruhe darüber reden"

"Ja", stimmte ich zu, wusste aber nicht, ob ich trotz meiner Müdigkeit überhaupt schlafen konnte. Sam streichelte mir beruhigend über den Rücken. So standen wir ein paar Augenblicke, als ich von ihm wissen wollte:

"Schlafen meine Eltern schon?"

"Ja, die habe ich dann irgendwann ins Bett geschickt, weil sie schon ganz müde waren. Sie haben ja noch einmal mit dir telefoniert, als du schon im Taxi gesessen bist" 

"Was hast du eigentlich zu Emmanuel gesagt? Ich meine, wie hast du ihn davon abhalten können, nach Hause zu kommen?".

"Ich habe ihm eine SMS geschickt. Irgendwie hatte ich so gar keine Lust, mit dem Mann zu reden, der dich betrogen hat. Dort habe ich reingeschrieben, dass du irgendwo in Sim City übernachten wirst. Vermutlich klappert er nun alle Hotels und Pensionen ab, um dich zu finden, aber das geschieht ihm recht". Auch wenn ich wusste, dass es Sam gut meinte - und wenn ich nichts gesagt hätte, hätte er das ja schon gar nicht gemacht - tat mir Manu in dem Moment furchtbar leid. Auch wenn er die Verlobung lösen wollte, musste das ja nicht sein, dass er jetzt die ganze Nacht nach mir suchte.

"Ich weiß` nicht...", sagte ich deshalb und hob meinen Kopf an. "Ich möchte eigentlich nicht, dass er sich die Nacht um die Ohren schlägt..."

"Du bist einfach zu gut, Meg! Lass` ihn doch die Nacht mal durchmachen, was macht das denn schon? Er hat dir viel mehr weh getan!"

"Aber...", warf ich ein, doch Sam unterbrach mich.

"Wäre es dir lieber gewesen, wenn er jetzt hergekommen wäre?"

"Nein, das nicht..."

"Na also! Dann schlafe jetzt mal, und morgen sehen wir weiter". Er lächelte mich aufmunternd an, und ich trottete wirklich nach oben.

Im Schlafzimmer angekommen sah ich zuerst auf das Bett... und begann erneut zu weinen. Wieviele schöne Stunden hatte ich hier mit Emmanuel verbracht? Nicht nur, wenn wir miteinander geschlafen hatten. Sondern auch, wenn wir uns im Arm gehalten hatten, miteinander geredet hatten... das hier war unser Zimmer gewesen, der Ort, an dem wir wirklich unsere Zweisamkeit genießen konnten, was in diesem Haus mit so vielen Personen nicht immer einfach gewesen war.

 

Und nun stand ich hier, kraftlos, müde und allein. Als ich mich dann zwischen die Laken legte, roch ich sogar noch Manu. Sein Geruch war mir so vertraut. Er gehörte hierher wie dieses Bett selbst. Während ich mich an sein Kissen kuschelte und wieder zu weinen begann, fragte ich mich ernsthaft, ob ich je dieses Kissen würde waschen können. 

 

Am nächsten Morgen sprach ich dann noch einmal mit Sam. Die Nacht war mehr als durchwachsen gewesen, denn ich hatte zwar vor Erschöpfung irgendwann Schlaf gefunden, war jedoch von seltsamen Träumen geplagt worden, die durch meinen Geist geflogen waren. Dementsprechend müde und fertig saß ich mit Sam am Frühstückstisch.

 

"Du siehst immer noch so fertig aus!", stellte er unumwunden fest.

"Würdest du nach dem gestrigen Tag und der Nacht auch", gab ich grantig zurück. Doch Sam ging gar nicht auf meine Worte ein, sondern ließ sich nun endlich alles genau erzählen. Auch er war entsetzt, dass Manu zu so etwas fähig war. Am Schluß dann meinte Sam:

"Weißt du was, Meg? Das, was du brauchst, ist Urlaub. Nur ein paar Tage, so dass du wieder zu Kräften kommst. Und dann kannst du in Ruhe mit Emmanuel reden".

"Urlaub? Wie stellst du dir das vor? Die Kinder, die Firma...", warf ich ein, doch Sam machte eine wegwerfende Handbewegung und meinte:

"Die Kinder sind hier in den besten Händen, ich bin da, deine Eltern sind hier - alles Bestens. Und die Firma wird auch mal drei Tage ohne dich auskommen!"

"Ich habe aber doch Sophie gefeuert!"

"Frau Behringer und Emmanuel sind doch noch da! Das geht schon. Wenn du dir jetzt eine Grippe eingefangen hättest, müsste es ja auch gehen". So redete er noch eine Weile auf mich ein, bis ich den Nutzen eines kleinen Kurzurlaubes einsah. Es würde mir tatsächlich guttun, mal was anderes zu sehen.

 

Stumpf packte ich meinen Koffer. Ich würde fliegen, ich wusste sogar schon, wohin, um von all dem Abstand gewinnen zu können. Und dann würde ich mit Emmanuel reden, es musste sein. Auch wenn ich mich vor dem Gespräch sehr fürchtete.

 

Aber wer hörte schon gern, dass er nicht mehr geliebt wurde?

Kangbok - ich war wieder hier. Nach meiner ersten Nacht in der Pension, in der ich zum Glück ganz gut geschlafen hatte, was ich der anstrengenden Reise zuschrieb, führte mich mein Weg nun in die Stadt. Was hatte sich in den letzten Jahren wohl hier verändert?

 

Als ich so dastand, die Geschäfte, die Brücke und die Teiche vor mir, kam es mir fast so vor, als wäre ich nie weg gewesen, denn es hatte sich hier nichts verändert. Alles war noch so, wie ich es in Erinnerung hatte. Selbst meine Psyche befand sich wie damals in einem ähnlichen desolaten Zustand. Dort war Sven noch nicht lange auf der Welt gewesen und mir waren die Gemeinheiten von Erich noch in den Knochen gesessen. Dazu mein unruhiges Kind, das mit seinen feinen Babyantennen diese Spannungen wohl gespürt hatte. Und jetzt mit dem Gefühl, die große Liebe verloren zu haben. 

In diese Gedanken hinein wurde ich plötzlich angesprochen:

"von Hohenstein Megara?", fragte mich ein Mann in meinem Alter, und ich erkannte ihn sofort, auch wenn er sich verändert hatte.

"Zu Hua Ke!", rief ich erfreut aus. Hua! Ich konnte es kaum glauben, aber er stand tatsächlich vor mir. Wir verbeugten uns voreinander, und er lächelte mich sofort an.

"Was für eine große Freude, dich hier zu sehen, Megara!", sagte Hua erfreut. "Wie geht es dir?", wollte er dann wissen und sah mich forschend an. Ich räusperte mich.

"Gut, danke", log ich ihn an.

Hatte ich wirklich geglaubt, dass er mir das abnahm? Ich vergaß anscheinend, wer hier vor mir stand, denn immer noch musterte er mich intensiv.

"Jetzt sehen deine Augen wieder so traurig aus. Genauso sahen sie auch aus, als wir uns das letzte mal getroffen hatten", meinte er dann ohne Umschweife. Wieder räusperte ich mich.

"Ja... äh - nein", stammelte ich und schluckte. Weine jetzt ja nicht vor Hua, ermahnte ich mich selbst.

"Du hast wohl wieder Kummer, Megara", sagte Hua mit seiner sanften Stimme. "Wenn dich dieser wieder hierhergebracht hat, dann hat dieser Ort wohl eine beruhigende Wirkung auf dich. Nichts geschieht umsonst", meinte er. War das so? War es gar kein Zufall, dass ich wieder hierher geflogen bin?

"Vielleicht", sagte ich vage.

"Ganz bestimmt sogar", lächelte er. "Wie lange wirst du bleiben?"

"Nicht so lange. Nur ein paar Tage, ich habe zu Hause Verpflichtungen, Kinder...", sagte ich und dachte an die drei, die ich schon jetzt vermisste.

"Du hast mehrere Kinder? Als wir uns das letzte mal gesehen hatten, hattest du eines, richtig?". Ich nickte.

"Ja, genau. Ich habe nach meinem Sohn noch Zwillingsmädchen bekommen", sagte ich, und er sah mich einfach an. Was dachte er wohl jetzt gerade?

"Sind sie auch hier? Mit deinem... Mann?", fragte er stockend. Oh Gott, jetzt traten doch die Tränen in meine Augen.

"Es tut mir leid, ich wollte nicht indiskret sein!", entschuldigte er sich sofort. Ich wischte mir schnell über die Augen, und sagte:

"Nein, schon gut. Ich bin nicht verheiratet, war jetzt aber kurz davor und wie es scheint, ist alles aus... und ich... ich kann nicht...", schluchzte ich schon wieder. Da schnappte Hua meine Hand und zog mich weg. Mir war klar, dass er mich an einen ruhigen Platz bringen wollte, auch wenn hier gerade nicht viel los war.

Hua brachte mich an einen Platz, der außerhalb der Stadt lag. Hier war wirklich kein Mensch, ich war mit ihm allein.

"Megara", begann Hua. "Jetzt kannst du deinen Kummer raus lassen, wir sind ungestört. Kann ich dir irgendwie helfen?". Ich sah ihn an und war ganz gerührt wegen seiner Worte. Doch ich schüttelte den Kopf.

"Wenn du es nicht ungeschehen machen kannst, dass ich gesehen habe, wie mein Verlobter eine andere Frau küsst, dann leider nicht", sagte ich mit einem dicken Kloß im Hals.

"Oh...", machte Hua mitleidsvoll. "Das ist es also. Das tut mir sehr leid"

"Ja", presste ich hervor. Es tat immer noch so weh, und wenn ich das Unaussprechliche dann doch in Worte fasste, sogar noch mehr. Aber hier stand Hua, der mir nach der Erich-Misere schon so wunderbar geholfen hatte. Dann sprudelten die Worte einfach aus mir raus. Und wie schon beim letzten Mal hatte ich so ein großes Vertrauen in ihn, ohne erklären zu können, warum. Ich erzählte von Emmanuel, von unseren Kindern, von seinem Heiratsantrag. Ich scheute mich nicht mal, Hua zu sagen, dass Manu meine große Liebe und der Schmerz deshalb so groß war.

Warum ich ihm das alles erzählte, wusste ich selbst nicht genau. Mein Herz hatte ich ja schon bei Sam ausgeschüttet, aber Hua war schon allein durch die Entfernung unserer Wohnorte so herrlich neutral. Und er hörte mir zu, sagte nicht viel, hakte nur nach, wenn ihm noch etwas nicht klar war.

 

Es wurde schon dunkel, ohne dass ich das richtig registrierte.

Als ich meine Erzählung endlich erschöpft beendete, sagte Hua zuerst gar nichts. Doch nach einer Weile begann er zu sprechen:

"tiānxiān", sagte er, und verwendete tatsächlich wieder ein Wort, dass er mir schon einmal gesagt hatte. Schönheit. "Ich bin mir sehr sicher, dass du hier bist, um Kraft zu tanken. Scheinbar hat Kangbok diese Aura für dich. Sammle neue Energie, um das mit deinem Verlobten abzuklären. Liebe kann gehen, aber dann musst du die Gewissheit haben, dass das so ist, um deinen Geist befreien zu können". Ich seufzte auf.

"Ja, aber vor diesem Gespräch habe ich Angst", sagte ich verzweifelt.

"Du musst nichts fürchten, außer der Angst vor der Angst", sagte er philosophisch.

"Ich weiß, dass du recht hast. Und trotzdem hätte ich das Gespräch am liebsten schon hinter mir".

"Das ist verständlich. Als meine letzte Beziehung zerbrochen ist, war das auch für mich kein schöner Augenblick. Ich fühle also mit dir". Ich wollte ihn fragen, wann das bei ihm war, doch er winkte ab, dass er darüber hinweg sei. Auch wenn ich keine schmerzfreie Lösung von ihm erhalten hatte, hatte mir das Gespräch doch gut getan.

Ich musste ihn vor Dankbarkeit einfach kurz drücken, deshalb umarmte ich ihn.

"Danke, Hua", sagte ich zu ihm.

"Nichts zu danken!", sagte er sofort höflich. Danach begleitete er mich noch bis zu meiner Pension und verabschiedete sich von mir. Er hatte mir seine Handynummer gegeben, falls ich noch einmal mit ihm sprechen wolle.

 

 

Weiter mit Teil 2 >>