Mami, Mami, da liegt ein Monster in meinem Bett!

Bevor es losgeht noch kurz vorneweg: Diese Aufgabe ist lang, deshalb habe ich etwa in der Mitte der Aufgabe einen Anker gesetzt, zu dem man über den Link hier kommt. Wer also nicht soviel auf einmal lesen möchte, fühlt sich so frei, diese Aufgabe einfach zu teilen. Nun aber viel Spass!

Mein Vater verbrachte nun viel Zeit in unserem Keller, um die Nektarpresse, die er von meiner Mutter geschenkt bekommen hatte, zu testen und verschiedene Traubensorten zu kombinieren.

Auch wenn anfangs noch nicht alles klappte, so wurde er mit der Zeit doch immer besser. Natürlich wurden wir dazu genötigt, von seinen Kreationen zu probieren, was nicht immer gerade ein Hochgenuss war. Doch auch hier lernte er stetig dazu und in letzter Zeit hatte er es sogar geschafft, Nektare zu erstellen, die man genießen konnte.

Und so füllte sich das Necktarregal zusehends mit der Zeit.

Dank Samuel hatte ich nun nicht nur Ruhe vor Samira, sondern in Susanne auch eine sehr gute Freundin gefunden. Und wie meine Mutter schon gesagt hatte, gab es Dinge, die man eher mit einem Mädchen besprach als mit einem Jungen. Zum Beispiel über Jungs. Das war bisher bei mir zwar noch kein Thema gewesen, aber Susanne war in einen Jungen aus der Parallelklasse verliebt und besprach nun mit mir, wie sie vorgehen konnte, um diesen zu erobern. Gerade mit mir, die ja soviel Ahnung davon hatte. Aber ich gab mir Mühe und versuchte, ihr ein paar Tipps zu geben, die ich in irgendwelchen Zeitschriften gelesen hatte.

 

Nach einem anstrendenden Schultag hatten wir uns mal wieder in der Stadt verabredet. Sie hatte in der Schule ziemlich geheimnisvoll getan und ich war schon neugierig, was sie vorhatte.

"Hey, Meg!", begrüßte sie mich strahlend.

"Hey!", gab ich zurück. "Und, was hast du nun mit mir vor?". Sie grinste.

"Du warst hier noch nie, oder?", fragte sie mich und ich sah mir das Gebäude, vor dem wir standen, etwas genauer an. Ich kannte es wirklich nicht, also schüttelte ich den Kopf.

"Das habe ich mir gedacht!", sagte sie. "Aber jedes Mädchen sollte einmal hier gewesen sein. Das hier ist der Beauty-Tempel von Sunset Valley, die Wellness-Oase. Hier gönnen wir uns heute mittag etwas Schönes, ja?". Ich war etwas überrumpelt. Beauty-Tempel? Hatte ich es etwa so nötig? Ich spürte, das mich die Worte von Susanne etwas verletzt hatten.

"Sorry, Susanne!", begann ich also, "Ich habe keine Lust auf so etwas! Ich möchte einfach so bleiben, wie ich bin und brauche dafür keine Cremes oder dergleichen! Tut mir leid, aber dafür bin ich wohl die Falsche!". Ich stellte mir vor, wie Sam reagieren würde, wenn er nun ebenfalls hier wäre und sah seinen tadelnden Blick vor mir, der mir sagen sollte, dass ich anderen Menschen ruhig vertrauen könne. Doch wie sollte ich das, wenn mich jeder, außer meiner Familie und Sam, verändern wollte?

"Hey, jetzt hast du mich aber falsch verstanden!", sagte Susanne. "Wer sagt, dass ich dich verändern möchte? Niemand, oder? Ich mag dich so, wie du bist, das solltest du nun aber wissen!"

"Warum dann aber der Beauty-Tempel? Habe ich es so nötig?", fragte ich genervt. Okay, jetzt hatte ich meinen Gedanken von vorhin laut ausgesprochen, obwohl ich dies gar nicht beabsichtigt hatte. Ich sah Sam vor meinem geistigen Auge mit dem Finger vor meiner Nase herumwedeln. Susanne sah mich tadelnd an.

"Quatsch! Eine pflegende Creme oder eine entspannende Massage haben weder was mit Typveränderung noch etwas mit Hässlichkeit zu tun! Lass es dir einfach mal gut gehen, ja? Und zusammen mit mir etwas Spass haben, mehr möchte ich gar nicht!". Ob das stimmte? Ich forschte in ihrem Gesicht, aber dort konnte ich nichts Falsches entdecken. Fiel es mir wirklich so schwer, jemandem zu vertrauen?

"In Ordnung! Aber dort drinnen passiert nichts, was ich nicht möchte!", sagte ich dann.

"Wo denkst du hin!", sagte Susanne, und wir gingen zusammen in das Gebäude, in dem es schon beim Eintreten verführerisch nach diversen Ölen und Cremes roch.

 

Und dann konnte ich mich doch ganz gut entspannen, während ich eine Gesichtsbehandlung erhielt. Die Kosmetikerin war sehr freundlich und beriet mich gut. Nach über einer Stunde kam ich mit einem völlig neuen Hautgefühl aus dem Gebäude und musste meine Abneigung gegen diese "Tussi-Dinge" nochmal überdenken.

Zuhause stand mein Vater vor seiner Staffelei und malte. Er liebte die Natur immer noch sehr, und wenn er nun Stunden im Keller verbracht hatte, musste er danach immer etwas draußen machen. Sei es, im Garten zu arbeiten oder eben zu malen.

 

Er hatte sich in der letzten Zeit äußerlich verändert, trug seine Haare nun kürzer und ließ sich oft einen 5-Tage-Bart stehen. So ungewohnt es auch war, so gut stand es ihm auch.

War es für mich da nicht auch mal an der Zeit, etwas zu ändern?

 

Seit Ewigkeiten flocht ich mir morgens Zöpfe. Dabei hatte selbst die Kosmetikerin gemeint, was für tolles, glänzendes Haar ich hätte. Hm. Meine Haut fühlte sich spürbar besser an. War es vielleicht doch nicht so falsch, auch ein bißchen nach sich zu schauen? Ich fühlte mich doch im Moment richtig gut.

Am nächsten Mittag traf ich mich mit Sam am Freibad. Ich trug meine Haare offen und Sam staunte nicht schlecht, als er mich sah.

"Hey, du siehst super aus!", sagte er und drückte mich fest.

"Danke!", sagte ich schüchtern.

Sams Kompliment tat mir sehr gut. Es gab mir die Kraft, mich etwas zu lockern.

 

Und so sprang ich übermütig in die Fluten.

Mein Geburtstag war überraschend schnell gekommen. Ich wollte ihn wie immer in den letzten Jahren, seit ich keine Kindergeburtstage mehr feierte, auch diesmal nicht feiern, weil ich den Trubel nicht mochte. Trubel um meine Person schon gar nicht.

 

Aber ich hatte nicht mit der Überredungskraft von Sam, Susanne und Dimitri gerechnet. Sie wollten unbedingt meinen großen Tag, wie sie es nannten, mit mir feiern. Selbst Sam, der mich in den letzten Jahren nie zu einer Party überredet hatte, schlug nun in die gleiche Kerbe. Er meinte, dass es an der Zeit war, einmal eine richtig große Feier zu machen und ob ich wollte, dass ich irgendwann dachte, in meinen Teenyjahren etwas verpasst zu haben. Nun, da ich das natürlich nicht wollte und es vielleicht ganz schön war, alle Leute, die ich mochte, um mich herum zu haben, stimmte ich zu. Mein Vater würde für das Essen sorgen, meine Mutter für die Musik, Onkel Johannes sagte, dass er für die gute Stimmung zuständig war.

 

Und so kam also der Abend an meinem Geburtstag und meine Gäste trudelten ein.

Neben meinen Freunden hatte ich auch meine Großeltern eingeladen, außerdem auch Liane. Als Sams Mutter und langjährige Familienfreundin gehörte sie praktisch schon zur Familie.

Mein Vater grillte leckeren Fisch, und mir lief schon das Wasser im Munde zusammen.

 

Dimitri hatte sogar ein Mädchen mitgebracht, dass ich nicht kannte und das sicher die neueste Flamme von ihm war.

Die Stimmung war bald recht gut, auch wenn ich nicht gerade eine Stimmungskanone war. Zum Tanzen etwa brachten mich keine zehn Pferde, aber Susanne und Dimitri amüsierten sich königlich dabei.

 

Vielleicht hatte ja auch mein Onkel sein Wort gehalten und bei seinem Job als Animateur Erfolg gehabt.

Und dann kam der peinliche Moment des Kerzenausblasens. Musste das denn immer sein? Alle Augen richteten sich auf mich, als wenn es nichts spannenderes gäbe, als ein Mädchen, das dabei war, ein paar Kerzen auf einem Kuchen auszupusten. Als dann mein Opa, Susanne und meine Mutter auch noch anfingen, mit irgendwelchen Knattergeräten diesen denkwürdigen Moment zu untermalen, wäre ich am liebsten im Boden versunken.

 

Doch brav wünschte ich mir in diesem Moment etwas. Ich schwankte zwischen dem Wunsch, einen festen Freund zu finden oder eine berühmte Autorin zu werden.

 

Ich entschied mich für Letzteres.

Nachdem ich dann die Kerzen ausgeblasen hatte, war es dann soweit. Ich war eine junge Erwachsene.

 

Schulzeit ade!  

Und auch wenn ich zuerst keine Lust auf diese Party gehabt hatte, so war es doch ein schöner Abend gewesen. Und was das Schönste war: Meine Gäste hatten sich bei der Auswahl der Geschenke wirklich etwas überlegt. So bekam ich einen Gutschein für einen Schreiblernkurs, der mir die letzten Kniffe und Tricks zeigen sollte. Sam hatte ihn mir geschenkt und gemeint, dass ich das nicht falsch verstehen solle, das würde nicht heißen, dass ich noch nicht gut schreiben konnte. Es sollte einfach nur dafür da sein, die letzten Dinge zu lernen, damit ich richtig durchstarten konnte. Susanne und Dimitri hatten mit Johannes und Mandy zusammengelegt und mir eine neue Staffelei samt Leinwänden, Farben und Pinsel gekauft. Meine Großeltern gaben mir ein prall gefülltes Sparbuch, das sie wohl schon seit kurz nach meiner Geburt angelegt hatten für den Tag, an dem ich erwachsen werden würde. Die Summe darauf verschlug mir erstmal die Sprache. Und meine Eltern hatten mir mein eigenes Notebook gekauft, damit ich in Ruhe arbeiten konnte, wann und wo ich wollte.

Kurz nach meinem Geburtstag stand etwas sehr Wichtiges auf dem Programm: Der Besuch bei Erich Bahlsen.

 

Es hatte noch Tage gedauert, bis wir den Mann endlich am Telefon hatten, und dann nochmal Wochen, bis wir einen gemeinsamen Termin fanden. Doch nun war es endlich soweit: Mein Vater, mein Großvater und ich waren in Tamberg und suchten das Haus, in dem Herr Bahlsen lebte. Die Gegend, in der wir gelandet waren, war etwas heruntergekommen, was mich schon leicht irritierte.

 

Doch das war nichts im Vergleich zu dem Haus, in dem laut Adresse der Eigentümer des Grafenanwesens wohnen sollte.

Wir standen vor einer Wellblechhütte mit zugemülltem Garten. Wenn es außen schon so aussah, wie sah es dann erst drinnen aus?

 

Was erwartete uns hier?

Nachdem mein Vater geklingelt hatte, kam dieser Erich Bahlsen heraus, um uns zu begrüßen und ins Haus zu bitten. Ich glaube, wir erschraken in dem Moment alle drei ein wenig.

Das also war er: Erich Bahlsen. Ein Mensch, vor dem ich mich fürchten würde, wenn er mir alleine nachts begegnen würde. Unsicher sah ich immer wieder zu meinem Vater und war froh, nicht allein zu sein. Ich fühlte mich verängstigt wie ein kleines Kind.

"Willkommen in meinem Palast!", sagte Erich kichernd und breitete die Arme aus. "Möchtet ihr etwas trinken?"

"Nein!", sagten wir alle gleichzeitig und sahen und darauf betreten an. Mein Großvater räusperte sich, mein Vater grinste und meinte, dass wir ja nicht deswegen gekommen wären und ich - nunja, ich beobachtete aus sicherer Entfernung die Szenerie.

"Herr Bahlsen, unsere Zeit ist leider begrenzt. Könnten wir bitte zum Geschäftilichen kommen?", sagte Großvater mit der Routine eines Geschäftsmannes.

"Bitte! Nennt mich Erich! So förmlich muss es jetzt ja nicht sein, ne?", meinte Erich Bahlsen und grinste uns an. Nun räusperte sich Vater.

"Gut - Erich!", sagte er dann, "Wir haben ja schon am Telefon besprochen, worum es geht, nicht wahr? Bist - du", er räusperte sich nochmals, und wäre die Situation nicht so wichtig für uns gewesen, hätte ich laut losgelacht. "Bist du zu einem Ergebnis gekommen?"

"Klaro!", sagte Erich und schielte kurz zu mir rüber. "Ihr könnt die Hütte haben, keine Frage!"

"Die Hütte?", fragte ich perplex, "Wir möchten das alte Anwesen kaufen, oben auf den Hügeln in Simgard. Das gehört dir, oder? An diesem Haus hier sind wir nicht interessiert!". Nun grinste mich Erich an.

"Sicher, Süße! Das weiß ich doch!". Mir verschlug es die Sprache. Süße? Ich sah meinen Vater an, dessen Augenbrauen sich gefährlich zusammengezogen hatten.

Ich schüttelte leicht den Kopf um ihm zu bedeuten, nichts zu sagen, damit wir in Ruhe verhandeln konnten. Denn wie es schien, war Erich ja tatsächlich bereit, zu verkaufen!

"Du wärest also mit dem Verkauf des Grundstücks einverstanden?", hakte ich nach.

"Ja, das habe ich ja schon gesagt!", lachte Erich. In mir machte sich ein unglaubliche Erleichterung breit, und als ich Vater und Großvater ansah, waren ihre Gesichtszüge ebenfalls entspannt. Wir waren am Ziel!

"Unter einer Bedingung!", sagte Erich plötzlich und ich spannte mich innerlich wieder an. Es wäre ja zu schön gewesen...

"Ihr seht ja, dass ich nicht gerade wohnlich eingerichtet bin...", begann Erich, wurde dann schnell von meinem Großvater unterbrochen, der bereits sein Scheckbuch zückte.

"Wie hoch soll die Summe denn sein? Reichen 50.000 § für eine neue Einrichtung?". Erich lachte.

"Ich brauche kein Geld, danke. Wenn ich euch die Hütte verkauft habe, habe ich schließlich selbst ein paar Kröten zum Ausgeben. Nee, ich möche raus aus diesem Loch, Freunde haben. Deshalb wäre es angebracht, wenn ihr mir da helfen würdet. Ihr Bonzen habt sicher noch eine kleine Kammer für mich übrig, oder? Lasst mich dort einziehen, bis ich einen Job und ein paar nette Leute kennengelernt habe, und wir machen gleich morgen einen Termin beim Notar". Ich war geschockt, und Dad und mein Großvater nicht weniger. Großvater hatte mitten im Schreiben innegehalten und sah Erich mit großen Augen an, während mein Vater aussah, als hätte er vergessen zu atmen.

"Wir müssen das kurz besprechen", sagte Großvater knapp und sah Erich fest an.

"Logo! Kein Problem! Ich bin dann mal im Garten. Ruft einfach, wenn ihr fertig seid!". Damit verschwand er nach draußen, und sofort stürmte mein Großvater auf meinen Vater zu und sagte:

"Gabriel, das ist unsere einzige Chance, an das Grundstück zu kommen! Dieser Irre meint das ernst, daran zweifle ich nicht!"

"Ich auch nicht!", sagte mein Vater resigniert. "Also quartieren wir ihn in eurem Ferienhaus ein, oder?"

"Das wird wohl nicht funktionieren. Du hast ihn ja gehört: Er möchte zu uns ziehen! Aber wir können ihn auf keinen Fall aufnehmen, nicht auszudenken, was der Kerl anstellen würde, wenn wir in der Firma sind!"

"Ihr habt doch einen Geschäftsführer, dann muss der eben mal mehr ran!", ereiferte sich Vater.

"Junge, wir haben einen neuen Geschäftsführer, dem kann man das noch nicht anvertrauen!", sagte mein Großvater. Mein Dad verzog das Gesicht.

"Was schlägst du also vor? In welchem Haus soll dieser Erich wohnen? Sag jetzt ja nichts Falsches!", knurrte er.

 

Während die beiden stritten, verzog ich mich hinaus.

"Ey, Zuckerpuppe!", rief mich Erich zu sich heran, "Sind die alten Herrschaften auf eine Lösung gekommen?". Ich wand mich unter seinen Worten. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl, wenn dieser wildfremde Mann so mit mir sprach. Außerdem hatte ich das dumpfe Gefühl, dass Erich das alles ganz genau geplant hatte und uns ausnehmen wollte. Ich meine, wer kommt schon auf so eine Idee? Ich hatte richtig Angst und hoffte, dass Vater und Großvater auf eine für uns gute Lösung kommen würden. Doch ich wollte Erich meine Unsicherheit nicht zeigen und antwortete:

"Sie sind noch dabei". Ich machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: "Wieso fährst du auf dieser Schiene? Mit dem Geld aus dem Hausverkauf könntest du dir eine neue Bleibe suchen, wo ist also das Problem?"

"Das Problem, Hasi, ist etwas, von dem du wahrscheinlich nicht viel verstehst. Aber ich möchte es dir sagen: Ohne Job kein Haus und ohne Haus keinen Job. Selbst wenn ich es schaffen würde, an ein neues Haus zu kommen, wäre ich immer noch allein. Jemand wie ich findet mal eben nicht so schnell einen Job und Freunde. Einmal Außenseiter, immer Außenseiter. Ich hoffe, du kannst mir folgen, auch wenn du sicher nie in so einer beschissenen Situation warst!". Ich schluckte. Außenseiter. Und wie ich das wusste.

 

Willkommen im Club.

Ich ging zurück ins Haus, wo sich meine zwei "älteren Herrschaften" bereits stritten.

"Dieser Kerl wird NICHT, ich wiederhole: Nicht! in meinem Haus wohnen!", sagte gerade mein Vater sichtlich erregt.

"Und ich habe bereits gesagt, dass ich so kurz vor dem Ziel sicher nicht aufgeben werde! Gabriel, du hast einen Keller, wo du ihn einquartieren könntest, sowohl Megara als auch du arbeiten von zu Hause, er wäre also ständig unter Beobachtung. Und ihr seid zu viert, da könnt ihr ihm sicher schnell zu dem helfen, was er möchte. Was sollen deine Mutter und ich da schon ausrichten?"

"Herrgott, es ist einfach nicht richtig!", schimpfte Dad.

"Du wirst doch mit diesem Verblendeten fertig werden, oder?", provozierte ihn mein Großvater.

"Hey!", griff ich nun ein. "Hört auf zu streiten!". Die beiden sahen mich an. "Ich habe gerade mit Erich gesprochen, er braucht nur einen Job und dann eine neue Bleibe, dann würde er sicher wieder verschwinden. Und da wir ja eigentlich sowieso keine Wahl haben, wäre ich dafür, ihn zu uns zu holen!". Mein Großvater strahlte, dafür sah mein Vater umso entsetzter aus.

"Megara! Was sagst du denn da?"

"Dad, er braucht nur eine neue Chance. Sicher bleibt er nicht lange da. Ich kümmere mich auch um ihn, versprochen. Hauptsache ist doch, dass wir das Grundstück endlich bekommen, oder?". Zu meiner Überraschung hatten meine Worte tatsächlich gewirkt, und mein Vater stimmte nun auch zu.

 

Und so zog Erich Bahlsen mit seinen wenigen Habseligkeiten zu uns in die Maienwaldgasse.

Aber Erich hielt Wort: Nur zwei Wochen später saßen mein Großvater, mein Vater, Erich und ich dem Notar gegenüber, der uns als neue Eigentümer eingetragen hatte. Mein Großvater hatte davor eine stattliche Summe auf das Konto von Erich überwiesen, aber das war irgendwie nebensächlich.

"Hiermit wird ihnen, Frau von Hohenstein, die ehemalige von Hohenstein Grafschaft überschrieben. Sie können von nun an den Titel Gräfin offiziell verwenden, da ihre erblichen Ansprüche eindeutig erwiesen wurden. Sollten sie sich dazu entschließen, den Titel zu gebrauchen, müssen persönliche Dokumente wie z. B. der Personalausweis angeglichen werden. Herr Bahlsen verzichtet mit seiner Unterschrift auf jegliche Ansprüche, die mit dem Kaufpreis abgegolten wurden. Dann bitte ich Herrn Bahlsen und Frau von Hohenstein noch um ihre Unterschrift". Mein Großvater lächelte mich glücklich an. Er hatte das Ziel erreicht. Für ihn und meinen Vater war es von Anfang an klar gewesen, dass ich die alleinige Eigentümerin werden sollte. O-Ton mein Vater: "Was soll ich denn bitte mit einem Grafentitel? Ihr wisst genau, dass ich soetwas nicht brauche!", und war wieder zu seinen Pflanzen in den Garten gegangen.

So war ich jetzt also an eine Grafschaft gekommen. Meinem Großvater war es wichtig gewesen, dass das Anwesen wieder in unserem Eigentum war, und man konnte ihm deutlich seine Erleichterung über diesen Erfolg ansehen. Mein Vater war auch glücklich, aber wohl mehr deshalb, damit dieser Wahnsinn, den wir in den letzten Jahren durchstanden mussten, endlich aufhörte. Und ich war froh, dass alles so gut ausgegangen war.

 

Ob ich den Titel gebrauchen würde, wusste ich noch nicht. Jetzt auf jeden Fall noch nicht. Außerdem nahm ich meiner Familie das Versprechen ab, niemandem zu erzählen, dass ich nun Megara Gräfin von Hohenstein war bzw. sein könnte, sollte ich mich für den Titel entscheiden. Ich wollte einfach alles ganz normal weiterlaufen lassen.

Das Zusammenleben mit Erich erwies sich als schwieriger als gedacht. Der Kerl hielt nichts von Ordnung, gammelte den ganzen Tag vor dem Fernseher herum und bemühte sich nicht die Bohne um einen Job oder um Gesellschaft.

 

Wieder kam der Verdacht in mir auf, dass sich Erich einfach in ein kuscheliges Nest hatte setzen wollen.

 

Also verabredete ich mich mit ihm im 50`s, damit sich dieser Zustand möglichst schnell wieder änderte und Erich ausziehen konnte.

"Was ist das denn für ein Schuppen?", fragte Erich abschätzig, als wir mein Lieblingslokal betraten. Ich seufzte auf.

"Hier kann man gut Essen!", sagte ich und steuerte einen Tisch an. Erich folgte mir.

Und dann begannen wir zu reden. Erich erzählte mir von seiner Kindheit, in der ein alkoholkranker Vater und eine Mutter, die anschaffen ging, die Hauptrolle spielte. Er schwänzte die Schule, schmiss diese im Alter von 14 ganz hin und haute von zu Hause ab. Ohne Schulabschluss und irgendeiner Perspektive hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, kam damit aber natürlich auf keinen grünen Zweig.

 

Er begann mir langsam Leid zu tun.

 

"Meg, Mäuschen, glaube mir: Diese letzten Tage gehören zu den schönsten in meinem Leben! Ihr seid mehr eine Familie für mich wie meine eigene je gewesen wäre!". Es war verrückt, aber diese Worte brachten in mir eine total neue Saite zum Klingen.

"Du - äh", stammelte ich angesichts der Tatsache, dass mich Erich mehr verwirrte als mir lieb war, "du solltest nach vorne blicken. Deine Vergangenheit ist eben jetzt Vergangenheit, aber du darfst dich nicht aufgeben, sondern dein Leben in die Hand nehmen. Es gibt immer eine Lösung".

"Ohne Schulabschluss?", fragte Erich zweifelnd.

"Hol`den Abschluss doch nach!", sagte ich.

"Dann verdiene ich doch wieder kein Geld!", meinte Erich.

"Naja", warf ich ein, "solange du bei uns wohnst, hast du ja schonmal keine Mietkosten oder ähnliches. Du könntest die Zeit nutzen, um den Schulabschluss nachzuholen" 

"Dein Vater wird mich umbringen!"

"Natürlich nicht!", sagte ich. Aber eines war wohl uns beiden klar: Vater würde toben! Plötzlich jedoch strahlte Erich, nahm meine Hand und sagte:

"So etwas wie du ist mir ja noch nie über den Weg gelaufen!". Dann lächelte ich ihn an, sah diese Dankbarkeit in seinem Blick, und wollte nur noch eines: Ihm helfen.

Als wir nach diesem schönen Abend wieder nach Hause kamen, saßen meine Eltern und mein Onkel am Tisch. Erich verzog sich sofort in die Kammer im Keller, in die wir ein Bett und eine Kommode gestellt hatten. Es war sicher kein gemütliches Zimmer, aber immer noch um ein vielfaches besser als seine alte Hütte. Ich wollte mich in den Wintergarten verziehen, um noch ein wenig an meinem Buch schreiben zu können, als mir Wortfetzen aus der Unterhaltung meiner Familie zu Ohren kamen:

"Es wird Zeit.... Mandy und ich.... Alt genug.... Hochzeit....". Was war da los? Ich ging zur Tür, um besser hören zu können.

"Ihr wollt heiraten?", fragte gerade meine Mutter und Johannes schmunzelte.

"Ein Mann in meinem Alter darf verheiratet sein, oder?".

"Natürlich", warf nun mein Vater ein.

"Es wird Zeit, Pauline, dass ich mir etwas Eigenes aufbaue. Ich habe die Zeit hier sehr genossen, und ich bin euch ewig dankbar, dass ich bei euch sein durfte. Aber nun möchte ich eine eigene Familie gründen. Und ich bleibe ja in Sunset Valley, wir können uns also sehen, wann wir möchten"

"Das ist natürlich schön. Weiß es Mutter eigentlich schon?", fragte Pauline. Johannes seufzte auf.

"Nein, ihr solltet es als erstes erfahren. Und ich weiß noch gar nicht richtig, wie ich es ihr beibringen soll, dass ich nicht mehr nach China zurückgehen werde. Ich glaube, sie hatte immer noch ein wenig Hoffnung, dass ich wieder kommen würde". Das stimmte allerdings. Selbst mir war es nicht entgangen, dass meine Oma Johannes bei Telefonaten oder den Besuchen immer wieder mal gefragt hatte, wann er denn wieder zu ihr kommen würde.

"Du musst es ihr schonend beibringen", sagte meine Mutter.

"Keine Sorge! Das werde ich", sagte mein Onkel und stand auf.

 

Ich stand da und konnte zuerst nichts sagen. Mein Onkel, der solange bei uns lebte wie ich denken konnte, würde ausziehen, und so wie ich das verstanden hatte schon sehr bald. Dass er Mandy heiraten würde, fand ich allerdings ziemlich cool. Sie war die älteste Freundin von meinem Vater und war hier immer schon ein gern gesehener Gast gewesen. Dabei hatte sie sich irgendwann in den jüngeren Johannes verliebt.

Doch bevor die große Hochzeit gefeiert wurde, stand noch ein anderes, wichtiges Fest an: Der Geburtstag meiner Mutter.

 

Sie hatte sich zu dieser Gelegenheit einen Strandabschnitt gemietet, den sie an diesem Abend für sich und ihre Gäste exclusiv nutzen konnte. Da sie seit Jahren eine sehr bekannte Komponistin war, wimmelte es am Strand nur so von Leuten. Mir war es fast zuviel des Guten, aber ich wollte mir nichts anmerken lassen, um meine Mutter nicht zu enttäuschen. Erich war auch da, obwohl er sich mehr selbst eingeladen hatte. Ich hatte mich noch für ihn eingesetzt, und so durfte er mit uns feiern.

Natürlich waren auch die Potters eingeladen und somit mein bester Freund Samuel.

 

Und auch wenn ich wirklich nicht gern Partys feierte, so hatte so eine Beachparty doch etwas, das musste ich sagen. Leckere Cocktails wurden serviert, ein super Buffett stand bereit, Musik aus einer Stereoanlage oder auch live von meiner Mutter gespielt sorgte für Stimmung, dazu war das Wasser vor allem anfangs noch so mild, dass man sogar schwimmen konnte. Die Stimmung auf der Party war toll.

Und dann erreichte die Party mit dem Altern meiner Mutter ihren Höhepunkt.

 

Im Jubel der Menge ging der Aufschrei meines Vaters fast unter. Was war nur los? Ich blickte ihn fragend an, als er nach vorne stürmte.

"Was machst du hier?", pflaumte mein Vater einen mir gänzlich unbekannten Mann an, der gerade den Geburtstag meiner Mutter lautstark mitgefeiert hatte.

"Och", sagte der angesprochene gedehnt, "Ich dachte, ich schau` mal vorbei, schließlich gibt es ja etwas zu feiern, nicht?"

"Du bist weder eingeladen noch erwünscht!", sagte mein Vater kalt und so hatte ich ihn noch nie gesehen.

"Reg`dich ab, Gabriel! Ich gratuliere deiner Frau artig zum Geburtstag, dann verschwinde ich wieder!". Damit ließ der Fremde meinen Vater einfach stehen und ging zu meiner Mutter.

Meine Mutter erschrak beim Anblick des Mannes genauso, wie mein Vater vorhin.

"Gernot! Was machst du denn hier?", fragte sie perplex.

"Ich möchte der großen Komponistin zum Geburtstag  gratulieren, was sonst?", sagte dieser Gernot und lachte dabei falsch auf.

"Wie bist du hier herein gekommen?", wollte meine Mutter wissen. "Dieser Abschnitt ist doch abgesperrt?". Wieder lachte er auf.

"Gottchen, ich habe einfach gesagt, dass ich ein alter Freund bin und wir sogar schon zusammengewohnt haben, doch leider meine Einladung vergessen habe, und schon war ich drin!". Hatte ich mich verhört? Was hatte das alles zu bedeuten? Mein Vater stellte sich sofort neben meine Mutter, und ich mich hinter die beiden.

"Ah, sie an! Hier ist ja das Töchterchen, nehme ich an?", sagte dieser Mann und sah mich an.

"Lass sie in Ruhe!", sagte mein Vater gefährlich leise, doch auch ein paar der Gäste hatten inzwischen mitbekommen, dass hier etwas nicht stimmte. Ich fragte mich nur, was. Wieder lachte Gernot.

"Na schön, ich sehe schon, ich bin hier nicht erwünscht. Also, dann gratuliere ich mal der großen Pauline zu ihrem großen Tag und verschwinde wieder!". Gernot ging zu meiner Mutter, gratulierte ihr und ging dann tatsächlich.

 

Meine Eltern schienen verwirrt zu sein, dieser unerwünschte Besuch hatte sie wohl ziemlich mitgenommen. Mein Vater beruhigte meine Mutter, soweit es ihm selbst möglich war, und dann gratulierte er selbst seiner Frau.

"Qīn'àide, ich möchte dir noch etwas schenken", sagte mein Vater am nächsten Tag zu meiner Mutter und führte sie in den Garten, wo er vor der Staffelei stehen blieb. Darauf war meine Mutter zu sehen, ein Bild, an dem mein Vater mehrere Wochen gearbeitet hatte.

"Oh, Gabe!", rief meine Mutter aus. "Vielen Dank! Das ist fantastisch!".

Meine Mutter küsste meinen Vater, dann lächelte sie ihn an.

"Auch wenn ich jetzt nicht mehr ganz so frisch wie auf diesem Gemälde aussehe", meinte sie dann.

"Line, du bist für mich nach wie vor wunderschön! Sieh mich an, ich sehe auch nicht mehr so aus, wie damals, als wir uns kennenlernten. Na und? Uns verbindet ja wohl hoffentlich mehr als nur das Aussehen!"

"Ja, du hast recht!", sagte meine Mutter und gab meinem Vater nochmal einen Kuss.

 

Und ich fragte mich, ob ich jemals diese Liebe kennenlernen würde, wie sie meine Eltern gefunden hatten.

Während ich also weiterhin Single blieb und damit ein immer größeres Problem hatte, wurde die nächste Liebe gekrönt: Nämlich die meines Onkels und Mandy.

 

An dem großen Tag fuhren wir in Mutters Limosine zuerst zu dem Haus des glücklichen Brautpaares, um sie abzuholen.

Meine Tante in spe war eine wunderschöne Braut, und das, obwohl sie schon fast doppelt so alt war wie ich. Ich bewunderte sie sehr.

"Mandy! Lass dich umarmen!", sagte mein Vater überschwänglich und nahm seine Freundin in den Arm, "Wer hätte gedacht, dass wir mal verwandt sein würden?"

"Also, ich nicht!", lachte Mandy, "Obwohl du schon immer wie ein Bruder für mich warst!"

Die Trauung fand am Strand im engsten Familienkreis statt.

 

Nachdem aus Mandy Thomson Mandy Wan geworden war, umarmte ich meine frischgebackene Tante herzlich und wünschte ihnen alles Gute.

Mein Vater unterhielt sich lange mit Johannes, der nicht nur sein Schwager war, sondern auch zu seinen besten Freunden zählte.

 

Und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass alle Welt verliebt war, außer mir. Selbst Samuel hatte bei unserem letzten Treffen irgendetwas von einer Elena erzählt, mit der er sich immer mal wieder traf. Ich hatte Angst, irgendwann ganz alleine zu sein.

 

Aber da gab es ja noch die Vereinbarung, die ich mit Erich hatte, und ich nahm mir vor, ihn gleich am nächsten Tag für ein Date gewinnen zu können.

Erich stimmte sofort zu, als ich ihn fragte, ob er Lust hätte, mit mir im Park ein wenig spazieren zu gehen.

 

Wir unterhielten uns zuerst über Belangloses, dann wollte ich von ihm wissen, wie es mit seiner Schule lief. Immerhin wollte er ja den Schulabschluss fertig machen.

 

Er sagte, dass er sich an einer Abendschule im nächsten Ort Neutaubenstein beworben hatte und noch darauf wartete, wie die Antwort ausfallen würde. Ich munterte ihn auf und meinte, dass er bestimmt eine Chance bekommen würde, weil die Verantwortlichen sicherlich bemerkten, wie motiviert er war.

Plötzlich nahm mich Erich in die Arme. Und auch wenn ich völlig perplex war, so war eines sicher: Ich hatte überhaupt keine Angst mehr vor ihm wie bei unserer ersten Begegnung. Im Gegenteil: Ich fühlte mich eigentlich sehr wohl bei ihm, weil er mir immer das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. So wie jetzt.

"Meg, ich weiß echt nicht, woher du diesen Optimismus nimmst. Aber ich finde es ultra toll, wie du an mich glaubst. Soetwas kenne ich gar nicht, eh!"

"Du musst immer an dich glauben!", sagte ich bestimmt und sah ihn an. "Das ist sehr wichtig!". Seltsam, das gerade ich das sagte, aber gut. Ich musste ihn ja irgendwie aufbauen.

"Okidoki, wird gemacht!", sagte er, und wir gingen lachend weiter.

Zwei Tage später gingen wir zusammen ins 50`s. Meine Eltern waren am Morgen in den Urlaub gefahren, nach China. Dort würden sie nicht nur meine Oma besuchen, sondern auch den Geburtstag von meinem Vater feiern, der diesmal keine große Feier wollte, was ich nur zu gut verstehen konnte.

 

Erich und ich spielten zuerst Kicker, aßen eine Kleinigkeit und tranken auch Alkohol.

"Heute lassen wir uns vom Taxi heimkutschieren!", lachte Erich und prostete mir zu.

Da ich Alkohol nicht gerade gewohnt war, stieg mir der Wein sofort in den Kopf. Wie sonst wäre ich auf die Idee gekommen, mitten im 50`s zu tanzen? Doch Erich tanzte sofort mit und die Stimmung heizte sich zunehmend auf.

Als "Be my baby" von den Ronettes gespielt wurde, tanzten wir eng zusammen. Erich flüsterte mir ins Ohr, dass ich etwas ganz besonderes wäre und er sich glücklich schätzte, dass er mich getroffen hatte.

 

Das hatte so noch niemand zu mir gesagt, auf diese Weise, und ich war hin und weg. Erich mochte kein Model sein, aber das war mir egal. Er hatte auch gute Seiten, und nur die wollte ich sehen.

Diese Musik - der Alkohol - Erichs Nähe - die Tatsache, dass ich erwachsen war und noch nie einen Freund hatte - all das kam zusammen. Ich hatte es satt, allein zu sein. Und hier vor mir war ein Mann, sehr greifbar, dem ich nicht egal war.

 

Und deshalb küsste ich ihn.

 

Erich war zuerst überrascht, grinste mich dann an und meinte:

"Süße, damit hätte ich ja mal gar nicht gerechnet. Ich meine, wer bin ich denn schon? Ich...", doch ich unterbrach ihn, indem ich ihn nochmals küsste. 

"Lass uns nach Hause gehen!", sagte Erich. Da ich nun ebenfalls mit ihm allein sein wollte, rief ich uns mit dem Handy ein Taxi.

Zuhause bugsierte ich Erich zuerst in unseren Keller und öffnete eine Flasche von einem Nektar, den mein Vater selbst hergestellt hatte und der Alkohol enthielt. Er würde sicher nichts dagegen haben und selbst wenn - jetzt war es schon zu spät, denn die dunkelrote Flüssigkeit füllte sich schon in die Gläser.

 

Ich reichte Erich ein Glas und nahm mir selbst eines, dann prosteten wir uns zu und tranken.

"Ey, den hat dein Alter selbst gemacht?", fragte Erich, nachdem er getrunken hatte. Ich nickte.

"Nicht schlecht!", meinte er grinsend.

"Du solltest nicht vergessen, ihm zu danken, wenn er wieder da ist!", sagte ich und nahm Erich in den Arm.

 

Heute Nacht würde ich nicht alleine sein, soviel stand fest. Nicht schon wieder.

Um Erich meine Absichten zu zeigen, knutschte ich ihn leidenschaftlich auf der Couch. Er erwiderte den Kuss sofort, und ich zwang mich, Schmetterlinge im Bauch zu fühlen. Schließlich war ich nicht länger ungeküsst! Das musste doch gefeiert werden!

Irgendwann zog mich Erich in den Nebenraum, der ihm seit einigen Tagen als Schlafraum diente. Hier hingen noch alte Zeichnungen von mir, in der Ecke waren Kartons gestapelt, in denen wir alten Krempel aufbewahrten und die Möbel hier drin waren nicht gerade erste Wahl. Doch das alles war nebensächlich.

 

Wieder küssten wir uns, zuerst ganz zart, dann immer forscher, und es war ganz klar, wohin das alles führen würde.

 

Es war in Ordnung, ich war bereit. Ich wollte keine Sekunde länger warten und begann, Erich zu entkleiden. Er tat es mir gleich, und irgendwann sanken wir nackt auf sein Bett.

 

Und schließlich schliefen wir miteinander.

Am nächsten Morgen wurde ich durch Erichs lautes Schnarchen geweckt. Das erste, was mir auffiel, war, dass ich fürchterlichen Mundgeruch hatte. Erst dann realisierte ich, was passiert war. Und war auf der Stelle ernüchtert.

 

Ich hatte es selbst gewollt, soviel stand fest. Und ich war auch noch bei Sinnen gewesen, trotz des Alkohols, den ich zu mir genommen hatte. Angeheitert, ja, aber nicht mehr. Und hatte trotzdem mit einem Mann geschlafen, den ich nicht liebte.

 

Hatte ich mir so mein erstes Mal vorgestellt? Ich seufzte auf. Diese Einsicht kam jetzt etwas zu spät, dachte ich sarkastisch. Die Frage war, wie es nun weitergehen sollte. Als was sah mich Erich nun an? Als seine feste Freundin? Oder nicht? Das musste ich sofort klären, wenn er wieder wach war.

Als ich ein kleines Frühstück zu mir nahm, kam Erich vom Keller hoch, nahm mich in den Arm und raunte mir ins Ohr:

"Du warst eine Rakete heute Nacht!". Ich lief etwas rot an.

"Ähm - du auch", sagte ich kurz angebunden. Ich musste mit ihm reden.

"Erich, ich muss etwas mit dir besprechen"

"Hoffentlich nichts Kompliziertes, denn das bekommt mein Kopf heute morgen noch nicht hin!", sagte er, nahm sich einen Teller Pfannkuchen und setzte sich zu mir. Ich ging gar nicht auf seine Worte ein.

"Es ist so: Ich habe die letzte Nacht sehr genossen, es war großartig!", begann ich und wunderte mich, wie gut ich lügen konnte. Das war weder Genuss noch großartig, sondern einfach eine Sache, die ich endlich hinter mich hatte bringen wollen. Das ungute Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich. 

"Danke!", sagte Erich mit vollem Mund, wischte sich die Krümel an seinem Arm ab und sagte: "Du warst auch nicht ohne!", und kicherte dabei.

"Es ist nur so", fuhr ich fort, "Ich... also, ich...". Ich brach ab und überlegte mir, wie ich zu ihm sagen konnte, dass ich keine feste Beziehung wollte. Ich setzte neu an. "Du bist ein lustiger Mann, man kann mit dir toll tanzen und Spass haben und du bist ein guter Küsser...", (soweit ich das überhaupt beurteilen konnte!), "... und ein außergewöhnlicher Mensch. Aber ich bin im Moment nicht an etwas Festem interessiert. Das liegt nicht an dir! Nur an mir selbst!". Erich sah mich kurz perplex an, dann lachte er schallend los.

"Ja, glaubst du denn, ich hätte dir jetzt gleich einen Heiratsantrag gemacht, oder was?". Er verputzte die Reste von seinem Frühstück und sagte dann: "Das geht in Ordnung, Hasi. Wir können ja einfach ein bißchen Spass haben, ganz ohne Verpflichtungen! Oder?"

"Ja, das können wir", sagte ich und war erleichtert. Da waren wir uns zufällig einer Meinung!

 

Und gleich nach dem Frühstück zeigte mir Erich nochmal, was er damit meinte, einfach ein bißchen Spass zu haben. Den ich dann auch hatte, so erleichtert, wie ich war.

Als meine Eltern drei Wochen später wieder aus dem Urlaub zurückkamen, gratulierte ich meinem Vater nochmals persönlich zu seinem Geburtstag und überreichte ihm als Geschenk ein neues Weinregal, was er sich gleich in den Keller stellte.

 

Dann ließ ich mir von ihrem Urlaub erzählen, hielt einen kurzen Rapport von hier wobei ich aber das für mich Entscheidenste natürlich verschwieg. Oder hätte ich sagen sollen: "Außerdem, Mum, Dad, bin ich keine Jungfrau mehr, gut, gell? Hatte es doch etwas Gutes, dass Erich zu uns gezogen ist! Hahaha!". Stattdessen erzählte ich nur davon, dass Erich sich dazu entschlossen hatte, seinen Schulabschluss nachzuholen und da auf die Rückantwort von einer Schule wartete, was mein Vater schnaubend zur Kenntnis nahm.

 

Wie lange brauchte so eine Schule eigentlich, um sich zu entschließen, einen Schüler aufzunehmen oder nicht?

Bei uns kehrte schon bald wieder der normale Alltag ein. Obwohl, etwas war doch anders. Meine Mutter überlegte, in Rente zu gehen, mein Vater hatte sich vorgenommen, etwas weniger Gemüse anzupflanzen, da er nicht mehr so oft in den Garten konnte wie früher. Erich wich immer mehr meiner Frage aus, ob er von der Schule endlich eine Antwort bekommen hatte. Ich vermutete, dass er sich wegen irgendetwas schämte.

 

Aber ich schrieb an einem neuen Roman, diesmal etwas humoristisches.  

Es hätte eigentlich ganz wunderbar sein können, wenn ich nicht seit 16 Tagen überfällig gewesen wäre.

Ich versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken und machte einen Termin bei meiner Frauenärztin, Frau Dr. Schmidt. Es war die gleiche Ärztin, die meine Mutter schon betreut hatte, als ich unterwegs gewesen war, und ich selbst war seit ich 14 Jahre alt war hier Patientin.

 

Vielleicht war mein Hormonhaushalt durcheinandergekommen, schließlich war einiges in den letzten Wochen passiert.

 

Doch Frau Dr. Schmidt bestätigte meinen Verdacht und teilte mir freudestrahlend mit:

"Herzlichen Glückwunsch! Sie sind schwanger!". Na bravo!

Ich brach noch in der Praxis in Tränen aus. Frau Dr. Schmidt war bestürzt, reichte mir dann aber ein Taschentuch und tröstete mich.

"Ich nehme an, dass diese Schwangerschaft überraschend eingetreten ist?", fragte sie leise. Ich konnte nur nicken.

"In dem Fall würde ich ihnen raten, eine der Beratungsstellen aufzusuchen, die es für solche Fälle gibt. Sie sind in der 7. Woche schwanger, es bestünde also noch die Möglichkeit eines Schwangerschaftabbruches". Schwangerschaftabbruch? Ich sah meine Ärztin an und wunderte mich selbst, dass ich diese Möglichkeit nicht sofort von mir schob.

"Lassen sie sich beraten und überlegen sie sich das alles in Ruhe. Holen sie sich die Unterstützung, die sie brauchen. Wie steht der Vater des Kindes oder andere Verwandte zu der Schwangerschaft? Könnte ihnen jemand helfen? Das sind alles Faktoren, die sie beachten müssen, aber die Wichtigste wird immer sein: Wie kommen sie selbst damit klar? Wie würden sie sich in 15 Jahren fühlen beim Gedanken, nun einen Teenager zu haben, der aber dann nicht da ist? Und vergessen sie auch nicht die finanziellen Unterstützungen, die es von Seiten des Staates gibt. Ich wünsche ihnen alles Gute. Lassen sie sich von meiner Sprechstundenhilfe trotzdem einen Termin in vier Wochen geben, falls sie das Kind behalten möchten. Ansonsten würde ich sie wieder nach dem Abbruch sehen, um die Nachsorge zu machen". Sie reichte mir die Hand und verabschiedete sich von mir.

Ich ging tatsächlich zu einer der Beratungsstellen, dessen Adresse ich in der Praxis bekommen hatte. Die Mitarbeiterinnen war sehr verständnisvoll und verurteilten mich nicht dafür, es tatsächlich in Erwägung zu ziehen, das Kind abtreiben zu lassen. Ich erzählte von meiner Situation, von Erich, dass wir keine feste Beziehung hatten.

 

Und dann fragte mich eine Mitarbeiterin, wie ich zu der Schwangerschaft stehen würde, wenn ich glücklich verheiratet wäre. Ohne zu zögern hatte ich gesagt, dass ich mich dann auf das Kind freuen würde. Die Mitarbeiterin hatte mir dann erklärt, dass es sich für sie so anhöre, dass ich das Kind grundsätzlich wollte, eben nur Angst vor der Zukunft hatte. Und das wäre der schlechteste Grund, ein Kind abtreiben zu lassen, denn es gab immer Hilfe.

 

Es war das erste mal, dass jemand mir dieses Wort Abtreibung in Zusammenhang mit meinem Kind sagte, und da schauderte es mich. Etwas machte "klick" in meinem Kopf, und ich war mir sicher, dass ich MEIN Kind niemals abtreiben konnte! Es wuchs in mir, das Herz schlug schon, das musste man sich mal vorstellen. Ganz egal, was Erich, meine Eltern oder meine Freunde sagten: Ich war die Mutter. 

 

Außerdem hatten Mandy und Johannes vor kurzem ein Baby bekommen, ein Mädchen, das Sabrina hieß, und das ich einfach hinreißend gefunden hatte. Mandy war bei der Hochzeit schon im 5. Monat gewesen, was man überhaupt nicht gesehen hatte. Die Kleine war so süß, und ich fand den Gedanken immer besser, das ebenfalls zu erleben.

Ich hatte mich also entschieden. Eine Abtreibung kam nicht in Frage. Nun musste ich nur meine Umwelt darüber in Kenntnis setzen, dass neues Leben entstand, vor allem musste ich mit Erich reden. Doch irgendwie hatte ich vor dem Gespräch Angst, ich wusste nur nicht, warum.

 

Also musste Sam kommen, um mir Mut zu machen.

"Danke, dass du gleich gekommen bist!", sagte ich zu ihm, als wir in unserem Wohnzimmer standen. Da meine Eltern noch unterwegs waren und ich sie nicht vor einer Stunde hier erwartete, Erich sich wie gewohnt nach dem Mittagessen hingelegt hatte und schlief, waren wir also ungestört.

"Du hast dich schlimm angehört!", sagte Sam und sah mich besorgt an. "Was ist los? Irgendetwas stimmt doch nicht! Ist es wegen dieser Knalltüte von Erich?". Tja, mein bester Freund hielt nicht besonders viel von unserem Mitbewohner, genauer gesagt, gar nichts. Das hatte er mir schon ziemlich früh zu verstehen gegeben. Deshalb wusste Sam auch nicht das Geringste, was zwischen mir und Erich schon passiert war. Das würde hier ein schweres Gespräch werden. Ich sah es als Übung für die Gespräche mit Erich und meinen Eltern. Es konnte ja nur schlimmer werden.

"Ich muss etwas sehr wichtiges mit dir besprechen, aber du musst mir versprechen, nicht auszuflippen!", stellte ich noch eine letzte Bedingung.

Sam sah mich schräg an.

"Ich soll - nicht ausflippen? Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Was gibt es denn so Wichtiges?". Ich atmete tief ein.

"Es ist so...", begann ich, unterbrach mich aber wieder. Wie sollte ich nur anfangen?

Ich schluckte nochmal, dann sagte ich frei heraus:

"Sam, ich bin schwanger". Mein Freund sah mich zuerst mit großen Augen an, dann hakte er nach:

"Du bist schwanger?"

"Ja". Er blieb eine ganze Weile still, dann fragte er mich:

"Wer ist der Vater?". Ich wand mich unter seinem Blick. Ich hatte nicht gedacht, dass dies eine seiner ersten Fragen sein würde.

"Sam...", sagte ich gedehnt und nestelte nervös an meiner Strickjacke herum.

"Weißt du, ich müsste jetzt sagen, dass du mir das nicht sagen musst, wenn du nicht möchtest. Aber ich kann meine Neugier nicht unterdrücken, und außerdem habe ich das dumpfe Gefühl, dass hier deine Probleme herrühren, habe ich recht?"

"Ja, das hast du. Es war sicher nicht geplant, aber jetzt freue ich mich auf mein Kind. Deshalb darfst du auf keinen Fall ausflippen, okay?"

"Also echt, was du von mir denkst! Jetzt aber raus mit der Sprache: Wer ist der Typ?". Ohne noch weiter darüber nachzudenken, wie ich es Sam schonend beibringen konnte, sagte ich nun schnell:

"Erich"

Sam erschrak.

"Erich? Euer Mitbewohner Erich? Oder gibt es da noch einen anderen, den ich nicht kenne?", versuchte er sich mühsam ruhig zu halten.

"Nein, unser Mitbewohner", antwortete ich wahrheitsgemäß.

"Was hat dir der Typ angetan? Dem breche ich alle Knochen!", sagte Sam und ging wohl vom Schlimmsten aus.

"Er hat mir nichts angetan!", sagte ich schnell und hielt ihn beruhigend am Arm fest. "Alles ist auf freiwilliger Basis passiert!"

"Aber dieser Schmarotzer kann unmöglich der Mann sein, auf den du dein Leben lang gewartet hast!", sagte Sam mit kalter Stimme.

"Und wenn es so wäre, müsstest du dich eben damit abfinden!", sagte ich erhitzt. Was mischte sich Sam da eigentlich ein? Ich lebte mein Leben, er seines. Er hatte schon zig Freundinnen gehabt, ich bis jetzt noch gar nichts Festes.

"Erich mag sein wie er will, aber zu mir ist er immer nett! Er sieht mich als Frau, das gefällt mir!"

"Ach, und ich sehe dich als - ja, als was? Als Möbelstück, oder was?", regte sich Sam auf. "Dieser Erich hat sich bei euch in ein gemütliches Nest gesetzt, siehst du das denn nicht? Er nutzt euch doch nur aus! Dein Vater hat das erkannt, aber du scheinst echt blind zu sein! Klar, dass er sich bei dir von seiner schönsten Seite gibt, denn du bist die einzige, die zu ihm hält! Frag`dich mal, warum!"

Ich sah meinen besten Freund erschrocken an. Wie konnte er nur?

"Hälst du mich echt für so naiv oder was?", fragte ich mit leicht brüchiger Stimme, weil ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Das mussten diese verdammten Hormone sein!

"Wenn naiv bedeutet, dass du bei Erich nur das Gute sehen willst, dann ja!", sagte Sam ohne mit der Wimper zu zucken.

"Oder dir passt es einfach nicht, dass auch ich Mauerblümchen mal einem Mann aufgefallen bin!"

"Blödsinn! Ich hätte mich für dich gefreut, wenn du hier mit einem anständigen Kerl angekommen wärst!"

"Und du bist weder mein Aufpasser noch mein Vater!", schrie ich ihn an.

"Aber in der Vergangenheit warst du immer froh, wenn ich zur Stelle war, wenn es brenzlig für dich wurde!", schrie Sam zurück. Das war zuviel. Ich gab ihm eine Ohrfeige und rannte hoch in mein Zimmer, wo ich in Tränen ausbrach. Kurz darauf hörte ich, wie unsere Haustür ins Schloss fiel, was wohl bedeutete, dass Sam das Haus verlassen hatte.

 

Nachdem ich minutenlang auf dem Bett geweint hatte, wurde mir erst richtig klar, dass ich soeben mit meinem besten Freund gestritten hatte.

Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, stellte ich mich eine halbe Ewigkeit unter die Dusche und hing meinen Gedanken nach. Es war klar, dass ich jetzt die Unterstützung von Erich dringender denn je brauchte. Schon allein, um Sam zu beweisen, dass er sich getäuscht hatte.

 

Also ging ich runter in den Keller zu Erich. Er hatte immer noch geschlafen und stand wegen der Störung etwas mürrisch auf, was nicht gerade ein gutes Fundament für dieses Gespräch war.

"Erich, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen", begann ich.

"Was gibt es denn, Zuckerpuppe?", fragte er.

"Ich war vor knapp einer Woche bei meiner Frauenärztin, weil ich überfällig war. Und dort hat sich mein Verdacht bestätigt: Wir bekommen ein Kind". Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte es gesagt.

"Was?", fragte Erich erschrocken. "Das kann nicht sein!". Ich war natürlich nicht gerade glücklich über seine Reaktion, schob es aber auf die unvorhergesehene Überraschung.

"Natürlich kann das sein! Wir haben schließlich nicht nur Händchen gehalten, wenn wir alleine waren, oder?", sagte ich sarkastisch.

"Jo, aber von mir ist das Kind nicht! Wer weiß, mit wem du dich sonst noch so amüsiert hast!", sagte Erich kalt.

"Wie bitte?", fragte ich.

"Na, du bist sicher hier, weil du mein nicht vorhandenes Geld willst, aber da hast du dich geschnitten, Süße!". Mir wurde schwindelig. Und so, wie er das "Süße" jetzt gesagt hatte, hatte es nichts mehr davon, wie er es sonst immer getan hatte.

"Ich will kein Geld von dir!", stellte ich klar. "Ich meine, du wirst wieder ein Schüler sein, da werde ich doch nicht...", ich unterbrach mich, als Erich anfing, immer lauter zu kichern. "Was ist so lustig?", fragte ich gereizt.

"Oh, Meg! Du bist echt Gold wert! Ich habe dir mal gesagt, dass ich sojemanden wie dich noch nie getroffen habe, und das stimmt auch voll und ganz. Ich glaube, es gibt keinen naiveren Menschen als dich, echt hey!". Mir zog es den Boden unter den Füßen weg. Zum einen, weil ich das Wort "naiv" in meinem Zusammenhang schon das zweite mal heute gehört hatte. Zum anderen, weil es mir endlich wie Schuppen von den Augen fiel, dass sich Erich überhaupt nicht auf eine Schule beworben hatte. Und ich ahnte, dass Sam vorhin wohl etwas mehr Durchblick als ich gehabt hatte.

"Du hattest also nie vor, deinen Schulabschluss nachzuholen", stellte ich fest.

"Pft!", machte Erich abfällig. "Wo denkst du hin? Den Stress brauche ich echt nicht! Ne, mir geht es doch ganz gut, auch ohne abgeschlossene Schulausbildung!". Er sah mich grinsend an. Was war ich blöd gewesen. Ich kam mir nicht nur naiv, sondern auch dumm und blauäugig vor.

"Meggi, jetzt mach`doch nicht so ein deprimiertes Gesicht!", sagte er immer noch grinsend. "Du bist nicht die erste, die auf mein Gejammere hereingefallen ist, glaube mir. Ich bin eben ein guter Schauspieler, das ist alles! Ich sollte mich mal in Dollywood bewerben, wie mir scheint!". Er hatte einen Heidenspass dabei, mich richtig blöd dastehen zu lassen.

"Was von deiner Familiengeschichte stimmt eigentlich?", fragte ich. Als hätte ich noch nicht genug gelitten. Erich winkte ab.

"Nicht viel, glaube mir. Ich bin in einem Heim aufgewachsen, wohlbehütet. Klar, meine Alten haben mir immer mal wieder gefehlt, aber die Erzieherinnen haben sich echt Mühe gegeben, das auszugleichen. Meine Alten sind ums Leben gekommen, als ich noch ziemlich klein war. Da ich es mir aber schon zu Heimzeiten gerne mal gemütlich gemacht habe, bin ich schon bald von der Schule geflogen und dann von dem Heim abgehauen. Naja, was stimmt, ist, dass ich mich danach eben irgendwie durchboxen musste, um an Essen zu kommen, klaro. Aber du ahnst nichtmal, wieviele Frauen mit Helfersyndrom es gibt. Ich lebe nicht gerade schlecht damit". Ich hätte nicht fragen sollen. Einfach nicht fragen sollen.

"Dann ist es ja für dich auch kein Problem, mich und unser Kind zu unterstützen", sagte ich mit dem letzten Stolz in der Stimme, den ich noch besaß.

"Ich werde nichts dergleichen machen!", blaffte mich Erich an. "Dieses Kind war nicht geplant, also kann es genauso gut wieder weg!"

"Das entscheide ich allein!", sagte ich.

"Dann kannst du auch allein dafür sorgen!", sagte Erich. "Von mir siehst du keinen Simolean!"

"Dann werde ich den Unterhalt einklagen! Ein Vaterschaftstest wird ja eindeutig beweisen, dass du der Vater bist!"

"Du willst mich wohl fertig machen!", sagte Erich und ich sah in sein wutverzerrtes Gesicht. Und endlich sah ich ihn, wie er wirklich war.

"Damit ich Unterhalt zahlen kann, muss man mich erstmal finden!", sagte er hämisch. "Ich sehe meinen Urlaub in eurer Hütte für beendet an!". Ich hätte ihm noch so einiges an den Kopf werfen können, z. B. das er sich vor Verantwortung stahl, dass er stinkefaul war und es sich auf Kosten anderer bequem machte, dass er die Leute benutzte . Aber ich ließ es, es hätte ja eh nichts genutzt.

Ich verließ die Kammer und ging. Und als ich die Treppe nach oben stieg, sah ich einer ungewissen Zukunft entgegen. Meine Eltern würden sicher ähnlich geschockt wie Sam reagieren, wenn ich ihnen von der Schwangerschaft plus zugehörigem Kindsvater erzählte, ich selbst musste damit klar kommen, dass der Vater meines Kindes nichts mit uns zu tun haben wollte. Und vor allem musste ich verdauen, dass Sam recht gehabt hatte, in so ziemlich jedem Punkt.

 

Sam.

 

Mein Gott, ich musste mich entschuldigen! Für den Streit, für die Ohrfeige, für alles.

Am nächsten Tag ging ich gleich nach dem Frühstück an meinen Platz. Die Ruhe tat mir so unendlich gut, das Wasser plätscherte leicht, wenn ein Fisch an die Oberfläche kam und ich tankte die Kraft, die ich brauchte.

 

Erich war kurze Zeit nach unserem Gespräch aus dem Haus verschwunden und ich ahnte, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Wie hatte ich mich nur so in ihm täuschen können? Wie hatte ich so blind sein können? Hatte ich es etwa so nötig gehabt, dass ich dafür sogar die Freundschaft zu Sam aufs Spiel gesetzt hatte?

 

Ich musste dringend mit ihm reden, und natürlich auch mit meinen Eltern.

Erst eineinhalb Wochen später bot sich die Gelegenheit, mit meiner Mutter zu reden, denn wir hantierten gemeinsam in der Küche. Allein. Meine Mutter warf meiner Taille immer wieder Blicke zu, wie ich aus den Augenwinkeln sehen konnte. Sag es!, machte ich mir selbst Mut. Wenn nicht jetzt, wann dann!

 

"āmā", begann ich und benutzte mit purer Absicht die chinesische Anrede für Mutter, weil ich wusste, dass sie es gern hörte.

"Ja?", fragte meine Mutter.

"Ich muss etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen", sagte ich weiter.

"Du weißt, dass du alles mit mir besprechen kannst!", antwortete sie.

"Äh...", begann ich zaghaft und unterbrach mich sofort wieder. Wie sollte ich es nur sagen?

"Du machst es aber spannend!", lachte meine Mutter. Oh Gott, gleich würde ihr wohl das Lachen vergehen.

"Mummy, es ist etwas passiert, mit dem ich selbst nicht gerechnet hätte. Etwas, was unser aller Leben verändert", erklärte ich blumig. Ich hatte wohl zuviele Kitschromane gelesen.

Ich stellte ein paar schmutzige Teller in die Spülmaschine, nur um irgendetwas zu tun.

"Jetzt aber raus mit der Sprache!", forderte mich meine Mutter nun auf.

"āmā, ich bin schwanger", sagte ich leise und ich wusste nichtmal, ob sie mich verstanden hatte. Sekundenlang blieb es still, ich wischte über die Arbeitsfläche, weil ich meiner Mutter unmöglich in die Augen sehen konnte. Was würde sie sagen? Hatte sie mich überhaupt verstanden?

"Wie lange schon?", fragte sie dann.

"Ich bin Anfang 11. Woche", sagte ich.

"Wie lange weißt du es schon?"

"Seit ich in der 7. Woche bin"

"So lange?", fragte Mutter erschrocken. "Und da kommst du erst jetzt?"

"Was macht das denn für einen Unterschied? Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen und wollte einen geeigneten Zeitpunkt abpassen". Wieder Schweigen.

"Freust du dich?", fragte sie mich und sah mich nun direkt an.

Ich lächelte. Es war ganz typisch für meine Mutter, dass sie zuerst daran dachte, wie ich mich fühlte. Nicht an Probleme, die auftauchen mochten, nicht an das Gerede der Leute, weil ich ein uneheliches Kind bekommen würde. Was tat mir das gut.

"Jetzt schon", sagte ich knapp.

"Ich verstehe", sagte Mutter. "Ich hätte dir in der schwierigen Phase wirklich sehr gern geholfen. Wer ist denn der Vater?", fragte sie dann, und ich seufzte auf.

"Wir sind nicht mehr zusammen, waren es eigentlich auch nie wirklich", sagte ich ehrlich, auch wenn das ein komisches Licht auf mich werfen konnte.

"Aha", machte meine Mutter dann auch wenig begeistert.

"Mutter, bitte keine Moralpredigt jetzt!", beugte ich vor.

"Schon gut, du bist ja erwachsen. Aber es wäre mir lieber gewesen, wenn mein einziges Kind einen Mann an ihrer Seite hätte, der sie in allem unterstützt". Ich verdrehte die Augen, was mir augenblicklich leid tat. Ich verstand ja, was sie meinte, konnte es aber schlecht ändern.

"Glaube mir, ich habe mir das auch immer anders vorgestellt!". Nun seufzte sie auf.

"Schon gut", sagte sie etwas versöhnlicher. "Ich wollte dich nicht angreifen. Wie geht es dir denn? Fühlst du dich wohl?"

"Ja, eigentlich ganz gut. Selbst morgens musste ich noch nie spucken, einzig mein Kreislauf ist nicht immer ganz stabil"

"Na, das hört sich doch ganz gut an! Ich habe mich öfters übergeben, als ich mit dir schwanger war!"

"Tatsächlich?", fragte ich, und ehe ich mich versah, waren wir im schönsten Gespräch über Schwangerschaft, Geburt, Wehwehchen und wie man sie lindert u. s. w. verstrickt.

Meine Mutter hatte gemeint, dass sie eine leichte Vorarbeit bei Vater leisten würde, was mich um ehrlich zu sein erleichterte. Ich hatte jetzt schon dreimal in den sauren Apfel gebissen, wenn ich jetzt etwas Hilfe bekam, war ich sicher nicht traurig.

 

Am nächsten Tag saß ich auf der Couch im Flur und ruhte mich von dem unglaublich schweren Gang vom Keller bis in den ersten Stock aus und fragte mich, wie das wohl zum Ende der Schwangerschaft sein würde, als mein Vater wortlos an mir vorbeirauschen wollte. Er hatte bereits den ganzen Tag noch nichts mit mir geredet und ich konnte denken, dass ihn Mutter bereits gestern Abend eingeweiht hatte.

"Setz`dich bitte, Vater!", sagte ich zu ihm.

"Ich, ähm...", stammelte er kurz, dann fuhr er fort: "Ich wollte noch das Geschirr spülen"

"Das kann warten!", sagte ich und klopfte einladend auf den Platz neben mir. Er setzte sich.

"Daddy, Mum hat wohl mit dir geredet", sagte ich gleich frei heraus.

"Ja, das hat sie", sagte er.

"Und seitdem redest du nicht mehr mit mir", warf ich ihm vor.

"Nein! Nein, das siehst du falsch! Ich... naja, wie es eben so ist, mit uns alten Knackern. Wenn das eigene Kind ein Kind bekommt, weiß man, das man zum alten Eisen gehört", sagte er leise. Ich sah meinen Vater an.

"Du doch nicht!", entgegnete ich sofort. Was er sich nur dachte! "Du bist noch fit wie ein Turnschuh und wirst sicher ein großartiger Opa werden". Nun lächelte er.

"Opa... es macht mich alt, findest du nicht auch?"

"Also wirklich!", sagte ich und knuffte ihn in die Seite.

"Daddy, es ist keine geplante Schwangerschaft, der Vater des Kindes möchte von uns nichts wissen, aber trotzdem möchte ich dieses Kind. Ich hoffe, ihr akzeptiert meine Entscheidung. Ich werde das Kind bekommen, aber es wäre schöner, wenn ich wüsste, dass ihr hinter mir steht".

"Megara, wir sind von der Nachricht überrascht worden..."

"Nicht nur ihr!", unterbrach ich ihn.

"... aber es steht außer Frage, ob wir zu dir halten. Klar, wir haben uns das etwas anders gewünscht, aber es ist jetzt so, wie es ist. Du arbeitest weiter von zu Hause aus, kommst den Forderungen deines Verlegers nach, und wir kümmern uns in der Zeit um das Kind. Wir schaffen das schon!".

Es tat so unglaublich gut, das zu hören. Nachdem sich der Kindsvater aus dem Staub gemacht hatte und ich Zoff mit dem besten Freund bekam, fand ich nun in meinen Eltern endlich Unterstützung.

 

"Danke, Dad!", sagte ich und umarmte ihn.

"Nichts zu danken! Und nicht vergessen: Du solltest dich - nunja, du solltest dich etwas schonen. Übertreib`jetzt nichts mehr, höre vor allem auf deinen Körper! Das hat damals schon deine Oma deiner Mutter geraten, und ich finde, es war ein guter Rat. Wenn etwas nicht klappt, dann rufe mich, ja? Und trage nichts Schweres mehr!". Nun musste ich grinsen.

"Aye, aye, Kapitän!"

In den nächsten Wochen allerdings gab es einiges zu tun.

 

Zum einen schleppte mich Susanne in das "Kinderland", ein Geschäft, dass Möbel und Spielzeug für Babys und Kleinkinder führte.

Wir schlenderten durch die Räume, vorbei an Regalen voller Spielzeug, und begutachteten die verschiedensten Möbel.

"Hach, es wäre gut zu wissen, was du bekommst!", sagte Susanne. "So könnten wir jetzt gleich etwas mitnehmen. Da ist ja ein Bett süßer als das andere!". Ich grinste.

"Ein bißchen musst du dich noch gedulden, vielleicht kann man es schon beim großen Ultraschall in der 20. Woche sehen"

"20. Woche???", schrie Susanne. "Das dauert ja noch ewig!". Ich lachte und zog sie weiter.

"So ein Mobile brauche ich auch!", sagte ich und begutachte ein zartblaues Exemplar davon.

"Ja, über dem Babybettchen oder auch Wickeltisch!", sagte Susanne. "Und so eine Maus dort hinten bekommt dein Baby von mir geschenkt!", sagte sie euphorisch, als sie eine süße Stoffmaus entdeckte.

Wir begutachteten die Möbel für Mädchen...

... und die für Jungs. Und am Ende des Tages hatte ich wenigstens schon eine ungefähre Vorstellung davon, wie ich das Babyzimmer einrichten wollte. Mein Kind würde mein altes Zimmer bekommen, während ich das alte von Johannes nahm. Vorerst auch mit den Möbeln, die chinesischen Möbel fand ich schon immer ziemlich schön.

Ganz überraschend rief mich etwa drei Wochen später mein Großvater an und sagte, dass er und Oma im Ferienhaus waren und er mich dringend sprechen müsste.

 

Ich grübelte den ganzen Weg zu dem Haus, was es wohl Wichtiges zu besprechen gab. Über die Schwangerschaft hatte ich sie schon vor 2 Wochen unterrichtet, die Geschäfte in der Firma liefen meines Wissens auch nicht schlecht... ich war etwas verwirrt.

 

Mein Großvater begrüßte mich recht herzlich, was allein schon recht ungewöhnlich war. Hm. Ich wartete erstmal ab.

"Komm`, setzen wir uns!", sagte Großvater und machte mit seinem Arm eine einladende Geste in Richtung Sofa. Ich setzte mich.

"Megara, da du jetzt schwanger bist und sozusagen die nächste Generaton der von Hohensteins gebären wirst, habe ich mir so einige Gedanken gemacht". Okay! Ich sah ihn immer noch abwartend an. Was hätte ich jetzt sagen sollen?

"Es ist so: Ich und deine Großmutter werden auch nicht jünger, und wir müssen an den Fortbestand der Firma denken". Gut, das verstand ich ja. Aber warum sagte das mein Opa alles zu mir? 

"Unser Geschäftsführer, Herr Lindthof, arbeitet sich bereits gut ein. Er wird bald soweit sein, die Geschäfte übernehmen zu können. Aber es muss einen Nachfolger für die Firmeninhabe sowie den Vorstandsvorsitz geben". Ich schluckte. Schon wie er mich ansah, konnte ich seine nächsten Worte von seinem Gesicht ablesen.

"Da dein Vater die Firma nie wollte, möchte ich sie dir überschreiben, Megara", sagte er und ich starrte ihn an. Oh - mein - Gott!

"Wir können damit nicht länger warten. Ich muss dir noch einiges zeigen, du musst alles wissen, was es zu wissen gibt. Außerdem musst du Herrn Lindthof kennenlernen, denn mit ihm wirst du eng zusammenarbeiten". Halt! Stopp!, schrie alles in mir.

"Opa!", sagte ich und meine Stimme zitterte. "Ich kann das nicht! Ich bin keine Geschäftsfrau, so wie du oder Oma!". Er lachte.

"Deshalb haben wir einen Geschäftsführer. Du musst dich um repräsentative Aufgaben kümmern, neue Satzungen genehmigen, an den Vorstandssitzungen teilnehmen". Ach, wenn es weiter nichts war! Außerdem hatte ich diesen Lindthof einmal gesehen, bei der Abschiedsgala meiner Mutter. Nicht nur meine Großeltern waren anwesend gewesen, sondern auch er. Als er gehört hatte, wer ich war, hatte er mir die Ohren vollgeschleimt, einfach widerlich. Mit dem konnte ich unmöglich arbeiten!

"Opa, es geht nicht, ich bin dafür nicht geeignet. Außerdem bin ich Schriftstellerin und arbeite auch jetzt an einem Roman. Ich habe einen Vertrag zu erfüllen"

"Das ließe sich ohne Probleme vereinbaren, da du ja nur Teilzeit in SimCity wärst. Ich schätze etwa ein- oder zweimal die Woche. Lindthof wird einige Aufgaben mehr übernehmen als der letzte Geschäftsführer. Er ist sehr tüchtig". Das konnte ich mir vorstellen! Wenn er schon bei mir eine wahrhaftige Schleimspur hinterlassen hat, wie mochte das erst bei meinen Großeltern sein?

"Megara, du weißt schon viel über die Firma, und du bist unser einziger Nachkomme, der in Frage kommt. Dein Kind wird bei deinen Eltern gut aufgehoben sein, wenn du in SimCity bist. Und die Aufgaben, die dich erwarten, machen dir sicher Spass. Hinzu kommt, dass du mit deiner Intelligenz das alles sicher schnell erfassen wirst und auch später keine Probleme haben wirst". Mein Opa war gut, das musste man ihm lassen. Ich glaubte schon fast selbst, was er sagte. Und doch hatte er natürlich recht: Wer, wenn nicht ich, sollte es denn sonst machen? Doch ich musste mir das alles nochmal gründlich überlegen und auch Mum und Dad fragen, ob sie später auf das Baby aufpassen würden, wenn ich dann tatsächlich in SimCity weilte.

"Gib`mir noch Bedenkzeit", sagte ich dann, und wir einigten uns darauf, dass ich nach dem Wochenende Bescheid geben würde.

 

Ich besprach alles mit meinen Eltern, wobei mein Vater immer wieder solche Dingen murmelte wie: "Du arme, jetzt haben sie dich am Wickel!", sagte ich dann montags zu. Die Überschreibung der Firma ging flott vonstatten, und ich vermutete, dass Großvater schon seine Anwälte mit dem Vertrag beauftragt hatte. Nun war ich also nicht nur Eigentümerin der Grafschaft, sondern auch der Firma. Ich durfte nicht weiter darüber nachdenken, sonst schwindelte mir nur, es war einfach alles zuviel für mich im Moment.

Ablenkung musste her, und die fand ich in einem meiner liebsten Gebäude der Stadt, nämlich der Bibliothek. Ich stöberte in Schwangerschaftsliteratur, während ich auf meine Tante samt meiner Cousine wartete. Ich war nämlich mit Mandy verabredet, die meine Cousine Sabrina mitbringen würde.

Es war unglaublich, wie groß meine entzückende Cousine schon war! Ich begrüßte die beiden herzlich, und Mandy begutachtete sofort meinen sich bereits wölbenden Bauch.

"Ich freue mich wahnsinng, dass du schwanger bist!", sagte Mandy. "Auch für Sabrina! Hoffentlich verstehen sich die beiden mal gut, dann können sie zusammen spielen!". Ich lachte.

"Stimmt! Na, hoffen wir das beste!"

"Wenn du irgendwelche Fragen hast, dann frag` mich ruhig! Es ist ja noch nicht so lange her, dass ich in der gleichen Situation gesteckt bin!", lachte Mandy.

Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, mein Cousinchen mal auf den Arm zu nehmen. Und auch wenn sie mich nicht täglich sah, so schaute sie nur am Anfang etwas kritisch, und taute dann aber recht schnell auf.

 

Bald schon würde ich mein eigenes Kind auf dem Arm halten können.

Während ich mit Sabrina in der Spielecke spielte, erzählte ich Mandy von der Überschreibung der Firma. Sie sah mich ernst an und sagte, dass ich ja aufpassen müsse, dass mich das alles nicht überforderte. Sie erzählte ein paar Dinge aus der Vergangenheit über meinen Vater, Dinge, die ich bisher nicht gewusst hatte. War er wirklich mal so unglücklich gewesen? Dass da mal etwas war, hatte ich natürlich schon mitbekommen, aber so? Ich versprach, auf der Hut zu sein und auf mich aufzupassen.

Als die beiden gegangen waren, weil Sabrina dringend ihren Mittagsschlaf halten musste, betrat ein Mann die Bibliothek, der mir irgendwie bekannt vorkam, ich aber nicht wusste, woher.

 

Als er mich sah, begrüßte er mich sofort.

"Frau Hohenstein, richtig?", sagte er.

"Ja-a", sagte ich stockend, weil ich nun nicht sagen wollte, dass da ein "von" fehlte. War ja auch egal.

"Sie kennen mich sicher nicht mehr, wir sind uns nur einmal kurz bei der Geburtstagsfeier ihrer Mutter begegnet: Gernot Lutzenbacher ist mein Name". Richtig, jetzt fiel es mir wieder ein! Das war der Kerl, der von meinem Vater weggejagt worden war!

"Ich sehe, sie erinnern sich!", lachte er nun. "Bitte verzeihen sie mein Auftreten auf ihrem privaten Fest! Das war eine Dummheit, ihr Vater hatte völlig recht!". Nanu? Gernot war ja eigentlich sehr höflich.

"Schon gut, es ist ja nichts passiert!", sagte ich.

"Richtig", lächelte Gernot, "es ist ja nichts passiert! Trotzdem war es falsch, dort aufzutauchen. Sie müssen wissen, Frau Hohenstein, dass es zwischen ihren Eltern und mir Missverständnisse gab, weshalb sich auch unsere Wege getrennt haben. Deshalb sollten sie ihnen lieber nichts davon erzählen, dass wir uns heute getroffen haben. Ich möchte nicht, dass sie sich deshalb aufregen, sie verstehen?". Natürlich verstand ich.

"Ja, ich verstehe", antwortete ich. "Kein Problem, ich sage nichts. Was ist denn damals passiert?", fragte ich neugierig.

"Ach, das sind nur alte Geschichten, ich weiß es schon gar nicht mehr genau. Ist auch nicht mehr wichtig. Es freut mich nur ungemein, nun mit Gabriels und Paulines Tochter ganz ungezwungen reden zu können, das macht vieles wieder gut". Ich errötete leicht.

"Warum sollte ich auch nicht mit ihnen reden, Herr Lutzenbacher?", fragte ich.

"Oh, und bitte nennen sie mich Gernot! Sonst komme ich mir so alt vor!". Ich lachte.

"Gut! Dann sagen sie aber Megara zu mir!"

"In Ordnung!", lachte Gernot. "Was für ein hübscher Name!"

"Vielen Dank", sagte ich.

"Und ich sehe, sie bekommen Nachwuchs, nicht wahr? Oder trete ich gerade ganz fürchterlich in ein Fettnäpchen?".

"Nein, sie haben recht. Ich bekomme ein Kind".

"Dann wünsche ich ihnen noch alles Gute für ihre Zukunft, Megara!"

"Vielen Dank!", sagte ich erfreut und erinnerte mich an die Szene am Strand bei Mums Geburtstagsfest. Was konnte wohl damals vorgefallen sein, dass meine Eltern so entsetzt, fast feindselig, reagiert hatten? Meine Gedanken wurden unterbrochen, weil sich Gernot verabschiedete. Nachdem er sich schon ein paar Schritte entfernt hatte, drehte er sich aber nochmal um und fragte:

"Megara, entschuldigen sie bitte, aber ich würde gerne nochmal mit ihnen plaudern, wenn sie das auch wollen. Wissen sie was? Ich gebe ihnen meine Handynummer, dann können sie anrufen, wenn sie Lust haben, oder den Zettel vernichten, falls sie mich einfach vergessen möchten". Ich lachte herzlich auf. Dieser Gernot hatte einen tollen Humor! Während ich noch lachte, kritzelte er seine Nummer auf einen Zettel, den er aus seiner Brieftasche gezogen hatte.

"Ich melde mich!", versprach ich und wir verabschiedeten uns nun endgültig.

Zuhause hielt ich Wort, warum hätte ich meine Eltern auch unnötig aufregen sollen? Außerdem waren sie völlig in ihren Planungen für ein neues Projekt beschäftigt, dass sie in Angriff genommen hatten.

 

Es ging darum, dass meine Mutter, die berühmte Filmkomponistin, der Stadt, der sie so viel Gutes zu verdanken hatte, etwas stiften wollte, etwas Bleibendes. Mein Vater und sie hatten in den letzten Tagen immer wieder davon gesprochen, und auch ich hatte mit verschiedenen Ideen aufgewartet.

 

Heute jedoch hörte ich schon beim Eintreten in den Raum solche Sätze wie: "Ja, so könnten wir es machen!", "Gute Idee, qīn'àide!" oder "Wird das nicht zu teuer?". Ich war natürlich neugierig und fragte, wie die Planungen vorangingen, und mein Vater meinte strahlend, dass sie vielleicht DIE Idee gehabt hatten.

 

Ich wollte natürlich alles genau wissen und erfuhr, was sie vorhatten. Und ich war von der Idee begeistert!

(Bitte dieses stümperhafte Bild aus dem Baumodus entschuldigen, aber ich hatte leider kein richtiges aus der Bauphase!)
(Bitte dieses stümperhafte Bild aus dem Baumodus entschuldigen, aber ich hatte leider kein richtiges aus der Bauphase!)

Und es war unglaublich, wie schnell die Beamten werden konnten, wenn es um eine Stiftung für die Stadt ging!

 

Man griff meinen Eltern so tatkräftig unter die Schultern, dass sie schon 2 Monate nach dem offiziellen Baugesuch starten konnten. Das Grundstück lag in der Nähe des Stadtzentrums, in einem Wohngebiet, das bisher nicht viel zu bieten hatte. Doch das würde sich bald schon ändern!

Ich merkte gar nicht, wie sehr ich in letzter Zeit unter Strom gestanden hatte. Ich war nun oft in SimCity, um mich in der Firma - großer Gott, meiner Firma!!! - einzuarbeiten, bevor das Baby kam, denn dann würde es nicht mehr so einfach sein, einfach mal einen ganzen Tag in der Firma zu sein. Ich sprach nun immer wieder auch mit Gernot, der mir einige interessante Geschichten aus seiner Zeit als Mineraloge erzählt hatte. Wohl war auch meine Mutter öfter mit auf seinen Touren und hatte sogar Insekten gesammelt. Ich war fasziniert. Nach ein paar Telefonaten waren wir zum Du übergegangen, außerdem hatte ich ihm sowohl meine Handynummer als auch meine Nummer in der Firma gegeben, weil ich im Moment oft dort war. Dann natürlich die Sache mit dem Bau der Stiftung, bei der ich leider meine Nase auch nicht raushalten konnte und immer wieder mit irgendwelchen Ideen ankam. Nicht zu vergessen meine Schwangerschaft, die zwar problemlos verlief, ich aber inzwischen bemerkte, dass ich immer träger wurde. Vor allem an heißen Tagen. Aber ich war ja auch schon im 7. Monat, da war dies wohl völlig normal.

 

Nicht normal war, dass ich seit fast 5 Monaten nicht mehr mit Samuel gesprochen hatte, es herrschte absolute Funkstille. Ich war an dem Zustand schuld, immerhin hatte ich ihm eine Ohrfeige verpasst, als wir uns das letzte mal gesehen hatten. Aber ich vermisste meinen besten Freund sehr, und ich wollte unseren Streit aus der Welt schaffen.

 

Wenn er das auch wollte.

 

Also kugelte ich zu den Potters, unangemeldet natürlich, weil ich verhindern wollte, dass Sam bis zu meinem Eintreffen seine Siebensachen gepackt und verschwunden wäre. Ich sah Samuels Mutter gerade zum Haus gehen, fing sie ab und wartete auf ihre Reaktion.

"Megara, Engelchen!", begrüßte mich Liane erfreut. Dann sah sie meinen Bauch und meinte: "Hatte Samuel also recht, gratuliere!"

"Danke", sagte ich und freute mich, dass mich Sams Mutter so freundlich begrüßt hatte.

"Ist Sam da?", fragte ich dann schüchtern.

"Ich glaube schon. Ich sehe mal nach und schicke ihn dir raus, ja?", sagte sie und verschwand in ihrem kleinen Haus. Was sich für Außenstehende sicher seltsam anhörte, nahm ich dankbar auf: Wenn sie mich ins Haus gebeten hätte, hätte sie vermutlich alles mithören können, was Samuel und ich zu besprechen hatten. Hier draußen waren wir tatsächlich ungestörter als drinnen in dem kleinen, hellhörigen Haus.

Sam kam tatsächlich kurz darauf heraus, stellte sich mir gegenüber, sah gezwungen NICHT auf meinen Bauch und brummte:

"Was gibt`s? Eigentlich habe ich keine Zeit". Ich atmete tief ein und sagte:

"Sam, ich möchte mich bei dir entschuldigen, vor allem für die Ohrfeige, das war unverzeihlich von mir!"

"Und warum bist du dann hier? Wenn es doch eh unverzeihlich ist!", meinte er cool. Ich versuchte, mich nicht aus meinem Konzept bringen zu lassen und fuhr fort:

"Naja, das liegt ja nun an dir, ob du mir verzeihen kannst oder nicht. Ich wollte mich natürlich auch sonst für meinen Ausbruch entschuldigen, ich hätte dir besser zuhören sollen und nicht sofort ausflippen"

"Ja, hättest du", sagte er und ich bekam plötzlich Angst, das er mir nicht verzeihen würde, es nicht konnte. Bis jetzt lief das Gespräch zumindest äußerst schlecht.

"Es tut mir wirklich leid", sagte ich reumütig und sah ihn flehend an. Sah er denn nicht, wie sehr? Sollte ich etwa auf den Knien vor seinen Füßen rumrutschen? In meinem Zustand???

"Die Botschaft ist angekommen, danke", sagte er immer noch kühl, dann drehte er sich um und ging den Weg zurück ins Haus. Oh nein! Er ging tatsächlich! Ohne sich zu versöhnen! Hatte ich ihn verloren? Doch ich wollte noch nicht aufgeben und schrie ihm hinterher:

"Du hattest im Übrigen in allen Punkten recht! Das wollte ich dir noch sagen!". Gut, jetzt lag ich sinnbildlich tatsächlich vor ihm im Dreck und hatte mich verletzlich gemacht. Aber ich versuchte, diese außergewöhnliche Freundschaft zu retten. Sam blieb tatsächlich stehen, drehte sich dann langsam zu mir um.

"Tatsächlich?", fragte er ernst. Ich nickte. "Dein Superlover hat sich also als Fehlentscheidung entpuppt? Dabei hat er auch niemals auch nur eine winzige Gelegenheit gegeben, das man an ihm als guten Familienvater hätte zweifeln können, ts!". Sams Stimme triefte vor Sarkasmus.

"Okay, ich habe es kapiert! Ich habe mich getäuscht, sehr sogar, und diese Erfahrung hat mich viele Tränen und viele Nerven gekostet. Ganz zu schweigen von einer wunderbaren Freundschaft", sagte ich mit leicht bebender Stimme.

Sam sah mich einen Moment forschend an, dann fragte er plötzlich leise:

"Der Kerl hat dir übel mitgespielt, oder?". Ich war schon versucht zu nicken, als ich mich besann und gar nichts machte. Ich wollte nicht noch angreifbarer werden, als ich sowieso schon war. Also senkte ich nur meinen Blick, den er deuten konnte, wie er wollte.

Plötzlich riss mich Sam in seine Arme.

"Mir tut es leid, dass ich dich in dieser Situation allein gelassen habe! Aber ich war wie vor den Kopf geschlagen... im wahrsten Sinne des Wortes!". Ich legte meinen Kopf selig auf seine Schulter und atmete seinen sehr vertrauten Duft ein.

"Nein, es ist meine Schuld! Ich hätte schon früher kommen müssen, oder zumindest anrufen!"

"Aber du bist schwanger!", sagte er, als wenn das Grund genug wäre, nicht den ersten Schritt zu einer Versöhnung zu wagen. Ich löste mich wieder von ihm.

"Wir sollten jetzt wirklich nicht anfangen zu streiten, wer den ersten Schritt zur Versöhnung hätte machen müssen!", lachte ich ihn an, und er lachte zurück. Ich konnte kaum glauben, dass ich meinen Freund wieder hatte!

"Als ich dich gerade umarmt habe... kann es sein... also, ich glaube, ich habe das Baby gespürt", stammelte Sam und ich grinste.

"Das stimmt! Das muss am Adrenalin liegen, dass gerade durch meine Adern geflossen ist. Oder auch das Glückshormon Serotonin, wer weiß". Nun sah Sam auf meinen Bauch.

"Wie geht es euch?", fragte er dann.

"Sehr gut", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Alles läuft völlig problemlos, das Kind entwickelt sich völlig normal".

"Gut", sagte Sam. Nach einer Pause fügte er hinzu: "Darf ich mal fühlen?"

"Natürlich!", sagte ich, und er legte seine Hand behutsam auf meinen Bauch, in dem mein Kind wuchs.

Nur zwei Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin war die Stiftung meiner Eltern an die Stadt Sunset Valley fertig. Das Nektarium "In vino veritas" war fertiggestellt und wurde am heutigen Samstag feierlich übergeben.

Als die Feierlichkeiten begannen, strömten viele Sunseter zu dem neuen Lokal, wo man vor allem neue Nektare probieren oder sich Flaschen für zu Hause kaufen konnte. Es gab einen urigen Platz im Freien mit Sonnenschirmen, der zum Verweilen einlud, drinnen standen die Regale, ein Tresen, Sofas zum gemütlichen Plauschen und den Verkaufstresen. Und als I-Tüpfelchen einen kleinen Keller, in dem man sogar selbst probieren konnte, einen Nektar herzustellen. Es würden auch regelmäßig Kurse angeboten werden, die den Leuten auch diese Kunst näherbringen sollte und mein Vater war im Gespräch, als einer der Dozenten hier Seminare zu geben. Er hatte es sich auch nicht nehmen lassen, ein paar Flaschen aus unserem Privatbestand ins vino zu bringen, wie ich es schon abkürzte. Dabei war der Name meine Idee gewesen. In vino veritas bedeutete "Im Wein liegt die Wahrheit". Sehr treffend, wie ich fand.

Auch drinnen wurde alles genauestens angeschaut, und auch bereits die ersten Käufe getätigt.

Nachdem ich eine Weile durch das Nektarium geschlendert war, um alles genauestens zu begutachten, setzte ich mich an die Bar, um mich etwas auszuruhen. Meine Beine fühlten sich an, als wären sie mit Blei ausgegossen. Natürlich würde ich nichts Alkoholisches trinken, sondern mir einen Früchtenektar bestellen.

 

Aber dann traute ich meinen Augen nicht!

Samira Kienzle stand hinterm Tresen!!! Meine Erzfeindin aus der Schulzeit, die versnobte Zicke, die mich tagein, tagaus getriezt hatte!

"Was machst du denn hier?", fragte ich geschockt.

"Ich arbeite hier, wie du unschwer erkennen kannst!", sagte sie unfreundlich. Na Prost Mahlzeit! Wer hatte die denn eingestellt? Vermutlich ein Stadtangestellter, da das Nektarium ja nun ein städtisches Grundstück war...

"Brauchst du was?", fragte sie und bewegte dabei keinen Muskel in ihrem Gesicht. Wie schaffte sie das nur?

"Nein, danke!", sagte ich schnell und stand auf. Ich musste nun wirklich keine Sekunde länger als nötig bei der sein.

Es war wirklich unglaublich, wieviele Leute hier zur Eröffnung gekommen waren. Auch Alison Jolina, die Tochter von Jamie Jolina und Hank Goddard, war da, und natürlich auch Sam. Habe ich schonmal erwähnt, wie froh ich war, dass alles wieder stimmte zwischen uns?

 

Ich nahm mir dann ein Glas eines Nektars, den mein Vater mitgebracht hatte und von dem ich wusste, dass er keinen Alkohol enthielt. Überall konnte man heute hier im Nektarium die verschiedensten Nektare und Weine probieren, was auch gerne angenommen wurde. Und Samira hatte an der Kasse schon viel zu tun, was ein gutes Zeichen dafür war, dass die Geschäfte gut anliefen.

Auch die Sitzmöglichkeiten draußen wurden genutzt, allen voran natürlich von meinem Vater, dem Naturliebhaber.

Hinter den Nektarium gab es sogar einen kleinen Hügel, auf dem verschiedene Traubensorten angepflanzt wurden. Die Winzer, die für die Nektarherstellung zuständig waren, konnten also auch auf eigene Trauben zurückgreifen.

 

Alles in allem war die Eröffnung sehr gelungen.

Mit den Wochen wurde auch mein Bauch immer dicker, und irgendwann konnte ich nichtmal mehr meine Füße sehen.

 

Entspannen konnte ich jedoch wunderbar, wenn ich mit meinem Vater malte. Oft war es seine Idee und ich bewunderte ihn dafür, dass er irgendwie immer spürte, was ich gerade brauchte. Wenn ich doch nur mal einen halb so sensiblen Mann wie ihn finden würde...

 

Wenn ich überhaupt einen Mann finden würde.

Es war fünf Tage vor dem errechneten Termin, als ich die ersten Wehen spürte. Schon die Tage davor hatte ich immer wieder ein Ziehen gespürt, was die Probe- bzw. Senkwehen gewesen sein mussten. Von meiner Frauenärztin wusste ich, dass das Köpfchen meines Kindes bereits fest saß und ich normal in die Klinik konnte.

 

Meine Eltern fuhren mich dann in der Limousine von meiner Mutter hin, was mir schrecklich peinlich war. Meine Mutter begleitete mich auch in den Kreißsaal.

Die Geburt dauerte lange. Da ich ein recht schmales Becken hatte, kam es zwischendurch immer mal wieder zu einem Geburtsstopp, was purer Stress für das Kind bedeutete. Deshalb entschlossen sich die Ärzte, das Kind mit der Saugglocke zu holen, um zu gewährleisten, das die Sauerstoffzufuhr nicht unterbrochen wurde. Mir war zu dem Zeitpunkt alles egal, ich wollte nur, dass es endlich vorbei war.

 

Und schließlich war mein Sohn geboren worden. Er war erschöpft, aber gesund. Am Köpfchen hatte er durch die schwierige Geburt einen kleinen Bluterguss erlitten, der schlimmer aussah als er war, wie mir die Ärzte versicherten. Als ich ihn auf den Bauch nehmen durfte, erkannte ich mit Schrecken, dass er den gleichen Mund wie Erich hatte. Aber meine schwarzen Haare. Ich nannte meinen Sohn Sven. Ein kurzer Name musste es auf jeden Fall zu dem langen Nachnamen sein, wie ich fand.

 

Während ich mich also von der Geburt erholte, verkündete Johannes meinem Vater, dass er soeben Großvater eines Enkelsohnes geworden war.

Zu gerne hätte ich das Gesicht meines Vaters in diesem Moment gesehen!

Nach 5 Tagen im Krankenhaus durfte ich mit Sven nach Hause.

Da ich ihn noch im Krankenhaus gefüttert hatte, brachte ich Sven sofort in sein Bettchen. Susi und ich hatten das Kinderzimmer ja schon Wochen davor fertig gestellt, nun konnte sein Bewohner endlich einziehen.

 

Leider konnte ich mein Kind nicht ausschließlich mit Muttermilch versorgen, da ich nicht genug Milch hatte. Also musste ich zufüttern, was ich eigentlich nicht wollte. Irgendwie schien es, als wenn ich nicht gerade dafür gebaut war, ein Kind zu bekommen und zu ernähren. Diese Tatsache frustete mich sehr, was der Milchbildung nicht gerade förderlich war. Aufgeben wollte ich noch nicht, ich hatte mich nun zu einer Spezialistin für Akupunktur angemeldet und hoffte, dass die meinen Milchfluss ins Laufen brachte. Das ich schon literweise Stilltee trank und es schon mit homäopathischen Mittelchen probiert habe, versteht sich von selbst.

Mein Eltern unterstützten mich sehr, was mir ganz recht war, denn ich wollte schnellstmöglich wieder nach SimCity fahren können, um dort weiter in der Firma zu arbeiten. Das ich immer weniger Zeit hatte, an meinen Romanen zu arbeiten, fiel mir relativ spät auf. Zuviel war passiert in der letzten Zeit.

Sechs Wochen und viele Versuche später war klar, dass ich nicht stillen konnte. Diese Tatsache wurmte mich so sehr, dass ich immer wieder wegen Kleinigkeiten in Tränen ausbrach. Der Kinderarzt meinte, dass dies eine Wochenbettdepression sein könnte, in schwacher Form zwar, aber immerhin. Also riet er mir, zu einem Psychologen zu gehen.

 

Meine Scham konnte ich gar nicht beschreiben. Meine Eltern, Sam und Susi, alle redeten mir gut zu, doch ich weigerte mich schlicht, einen Termin bei einem Psychologen zu machen. Konnte ich nicht einfach eine glückliche Mutter sein?

 

Irgendwann meinte meine Mutter:

"Megara, so geht es nicht weiter, du bist ja völlig fertig mit den Nerven! Ich schlage vor, dass du ein paar Tage ausspannst, damit du wieder zur Ruhe kommst"

"Wie stellst du dir das denn vor? Ich habe ein kleines Kind!", sagte ich genervt. Sven schrie auf meinem Arm und ließ sich nicht beruhigen. Er hatte die Dreimonatskoliken, und ich kreiste seine Hüften, damit er etwas Linderung bekam. Wenn es denn überhaupt funktionierte, was ich mittlerweile bezweifelte.

"Wir sind doch da!", sagte meine Mutter. "Wir können Sven die Milch genauso gut geben wie du! Ein paar Tage nur, Megara! Ich glaube, du brauchst das dringend!"

"Dem stimme ich zu!", schlug nun auch mein Vater in die gleiche Kerbe. "Dieses Theater mit der Firma, die Architektentermine wegen der Renovierung des Grafenanwesens, das Kind, dein Verlag - das alles ist doch wahnsinnig viel für dich! Fahre ein paar Tage weg, und du wirst sehen, dass du wie ein neuer Mensch wiederkommen wirst!". Wir diskutierten noch eine Weile hin und her, bis bei mir der Wunsch, den ganzen Stress einmal ein paar Tage nicht sehen zu müssen, so groß wurde, dass ich zustimmte.

 

Also packte ich meine Koffer und fuhr nach China.

 

Nach dem Besuch bei meiner Großmutter Jiao wollte ich noch mehr von dem Land sehen und fuhr nach Kangbok, einer mittelgroßen Stadt nicht weit von Shang Simla entfernt. Etwas unschlüssig stand ich auf dem Marktplatz von Kangbok. Wohin musste ich doch gleich gehen, um zu dem alten Tempel zu kommen, den mir der Rezeptionist meines Hotels genannt hatte?

Meine Verwirrung muss mir wahrhaftig anzusehen gewesen sein, denn plötzlich wurde ich von einem Einheimischen angesprochen.

"nǐhǎo", sagte der Mann zu mir und verbeugte sich. Ich tat es ihm gleich und begrüßte ihn ebenfalls auf chinesisch. Dann fragte er mich:

"wēishì wǒ jiùyuán?", und ich konnte ihn nur dümmlich anschauen und "hä?", sagen. Da lachte er plötzlich und fragte auf englisch, ob er mir helfen könne. Ich erklärte ihm aus einem Mischmasch aus chinesisch und englisch, wohin ich wollte und er bot sich an, mir den Weg zu zeigen. Ich war hocherfreut. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag.

Wir trafen uns auf dem gleichen Platz wie am Vortag, und der Einheimische stellte sich erstmal vor:

"Es tut mir leid, ich weiß nicht, wo gestern meine Manieren geblieben sind, denn ich habe mich noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Ze Hua Ke". Er hieß also Hua, im chinesischen sagte man den Nachnamen immer vor dem Vornamen.

"Sehr erfreut. Von Hohenstein Megara", sagte ich. Dann führte mich Hua zu dem Tempel.

Nach dieser Besichtigung spazierten wir durch die wunderschöne Gegend und Hua erzählte mir viel von der Kultur, der Stadt und den Menschen von hier. Ich war zum einen beeindruckt, wieviel er wusste, und zum anderen von ihm selbst.

 

Hua war ein sehr ruhiger Mann, nie ausfallend und sehr charmant. Eine wahre Wohltat für mich! Ich musste zugeben, dass ich gerne in seiner Nähe war.

 

Auch am nächsten Tag trafen wir uns, diesmal wollte er mir eine alte Höhle zeigen. Nach dieser interessanten Besichtigung erzählte er mir, dass hier in der Gegend, einer Legende nach, einmal ein Drache gelebt hatte, der hier die Grabwache einer wunderschönen Adeligen übernommen hatte. Hach, was liebte ich solche Geschichten!

Ich hing förmlich an seinen Lippen, die nicht nur so wunderbar erzählen konnten, sondern auch gut aussahen.

 

"Megara", sagte Hua plötzlich. "Dein Mund lächelt, aber deine Augen sehen so traurig aus. Ich kenne dich zwar noch nicht richtig, aber irgendetwas sagt mir, dass du Kummer hast. Ist das so?". Natürlich wurde ich augenblicklich rot und senkte beschämt meinen Blick.

"Entschuldigung, ich wollte dir nicht zu nahe treten", sagte er sanft.

"Nein... schon in Ordnung", sagte ich. "Ich möchte nichts Genaueres sagen, aber du solltst wissen, dass du recht hast. Es ist gerade... nicht sehr einfach für mich. Dieser Urlaub hier sollte mich auf andere Gedanken bringen". Hua lächelte verständnisvoll.

"Dann lass uns von etwas anderem reden. Zum Beispiel davon, wie bezaubernd du bist". Meine Wangen brannten.

"Ich glaube kaum...", ich musste mich räuspern, "... dass das irgendwie...". Räusper! Herrje! Was sah er mich auch so an!

"Wenn ich es schaffe, deine Augen zum Lächeln zu bringen, bekomme ich dann einen Kuss?", fragte er. Hatte ich mich verhört? Hua sah mich intensiv an, und ich ahnte, dass ich wohl richtig verstanden hatte. Er wollte mich küssen? Wir kannten uns gerade mal zwei Tage, und ich gehörte sicher nicht zu den Menschen, die von jetzt auf nachher etwas Überschwängliches taten.

 

"mèihào", flüsterte er plötzlich. Wunderschön. Ja, das war er auch. Die Stimmung knisterte total und ich wusste, dass ich ihn selbst gern küssen würde.

Bevor ich diesen Gedanken richtig zu Ende denken konnte, küsste er mich sehr sanft. Ich fühlte förmlich, wie vergangener Stress von mir abfiel, wie ich mich fallen lassen konnte. Und er küsste gut, viel besser als Erich und ich genoss jede Sekunde des Kusses. Als wir uns wieder voneinander lösten, lächelte ich ihn an und sagte:

"Warst du da jetzt nicht etwas vorschnell? Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass du mich erst dann küssen darfst, wenn meine Augen lächeln"

"Das habe ich auch so gesehen!", verteidigte er sich und lächelte mich schelmisch an. Meine Knie wurden weich.

In den nächsten Tagen blieb ich in Kangbok, und Hua spielte für mich den Reiseleiter. Wir fuhren auch mit dem Bus in andere Städte, er zeigte mir Reisfelder, kulturelle Stätten und wir sprachen viel über uns. Hua war das dritte Kind einer Lehrerfamilie. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter waren Pädagogen, sein Vater sogar Professor an einer Universität. Er selbst hatte Geschichte und Geografie studiert, deshalb wusste er auch soviel. Natürlich erzählte ich nun auch etwas mehr von mir, von Sven, davon, dass ich Single war, von der vielen Arbeit. Er hatte viel Verständnis für mich, meinte aber auch, dass mein Sohn wohl meine Unruhe spüren würde und vielleicht auch deshalb oft schrie. Das hatte ich mir natürlich auch schon überlegt, es nur nicht wahrhaben wollen. Ich sagte ihm, dass dieser Urlaub deshalb so wichtig für mich war, um eben wieder zur Ruhe zu kommen.

 

Er hatte für mich Bücher gekauft, in einem alten Buchgeschäft, und übersetzte für mich die Wörter, die ich nicht kannte. Bücher über die Legenden von hier und über die Kultur.

"Und wer übersetzt für dich, wenn du wieder zu Hause bist?", fragte er und ich verscheuchte den Gedanken, in zwei Tagen wieder in Sunset Valley zu sein, schnell.

"Meine Mutter ist Halbchinesin", antwortete ich, "Sie wird bestimmt übersetzen können" 

Der letzte Abend war gekommen, ich würde am nächsten Tag wieder zurückfliegen. Erst jetzt viel mir auf, wie gut mir Hua getan hatte, denn ich wollte eigentlich gar nicht von ihm weg.

"Vergiß mich nicht, tiānxiān", sagte er. Schönheit. Das hatte nun wirklich noch nie jemand zu mir gesagt. Und das Schönste war: Ich wusste, dass er das auch so meinte. Auch wenn wir uns erst wenige Tage kannten, vertraute ich ihm voll.

"Nein, werde ich nicht. Und du mich nicht!", sagte ich und rieb mir verstohlen eine Träne vom Auge, die sich dort gesammelt hatte.

"Du schaffst das alles!", munterte er mich auf, und ich wusste, dass er nicht nur die Trennung von ihm meinte. "Du bist eine unglaubliche Frau. Und das Glück wird dich finden, keine Sorge!".

"Ja", sagte ich, "ich weiß. In den letzten Tagen war ich sehr glücklich".

Wir küssten uns nochmal innig, bevor er zu seinem Haus ging und ich mich in Richtung meines Hotels machte. Er hätte mich noch zum Flughafen gefahren, aber das hatte ich nicht gewollt.

 

Aber ich stieg erholt und mit neuer innerer Ruhe ins Flugzeug. Außerdem mit der wunderschönen Gewissheit, dass ich für manche Männer nicht einfach nur ein Spielzeug, sondern liebenswert war. Dafür dankte ich Hua sehr.

Sven schrie nicht mehr so oft, als ich wieder zu Hause war. Doch natürlich machte er sich auch jetzt noch bemerkbar, wenn er Hunger hatte, oder wenn die Windel voll war. Doch mich brachte das nicht mehr aus der Ruhe, was widerrum auch mein Sohn spürte und ihm sichtlich gut tat.

Da wieder mehr Gelassenheit in mein Leben gefunden hatte, ging ich auch wieder in die Firma. Das Vierteljahr Pause war lang gewesen und ich fühlte mich, als wenn ich wieder von vorne anfangen musste.

 

In dem Büro, das meinem Großvater gehört hatte, durfte ich mich breit machen. Er war immer seltener in der Firma und meinte, dass ich schon viel wusste und bei Fragen ja auch Herrn Lindthof fragen konnte.

 

Herrn Lindthof. Pah.

 

Der saubere Herr Geschäftsführer, der aufpassen musste, dass er nicht auf seiner Schleimspur ausrutschte. Jedesmal, wenn ich ihn sah, schmalzte er mich voll, und was fast noch schlimmer war, gab damit an, was er alles wusste. Einfach widerlich.

Ganz anders meine Sekretärin, Frau Behringer. Sie saß vor meinem Büro, und man musste an ihr vorbei, um zu mir zu kommen. Und sie passte wirklich haargenau auf, dass niemand Unbefugtes zu mir durch kam. Außerdem half sie mir in einer fast mütterlichen Art, obwohl sie nur ein paar Jahre älter als ich war.

"Frau von Hohenstein, Herr Lindthof hat mich ausdrücklich gebeten, ihm Bescheid zu geben, wenn sie wieder im Hause sind. Er muss mit ihnen über den Zulieferer reden, der die Motoren in den Sitzrasenmähern geliefert hat. Es gibt wohl Probleme". Na bravo, und das gleich am ersten Tag. Ich seufzte leise auf.

"Gut, schicken sie ihn rein", sagte ich und ging zu meinem Schreibtisch, wo ich bis zum Eintreffen von Lindthof die Unterlagen sichtete, die Frau Behringer schon bereitgelegt hatte. Es gab sehr viel zu tun.

Ich war gerade in die Bewerbung eines Mannes vertieft, der sich für unsere Entwicklungsabteilung bewarb, als Lindthof in mein Zimmer platzte.

"Morgen, Frau von Hohenstein", sagte er gehetzt und ich fühlte mich augenblicklich wieder urlaubsreif.

"Morgen", sagte ich kurz angebunden und zeigte ihm, dass er Platz nehmen konnte. "Gibt es Probleme?", fragte ich ihn dann.

"Leider", sagte er und legte mir eine Unterschriftenmappe auf die Bewerbung, die ich gerade noch angesehen hatte. "Hier, sehen sie sich das mal an. Die Firma Ziebold hat inzwischen so viele Qualitätsmängel in ihrer gelieferten Ware, dass wir unverzüglich den Lieferanten wechseln müssen".

"Und wo ist das Problem?", fragte ich.

"Das Problem ist", sagte mein Geschäftsführer arrogant, "dass wir für diese Motoren so schnell keinen anderen Lieferanten finden. Unsere Entwickler haben mit deren zusammengearbeitet und diese Motoren entworfen, sie waren perfekt auf unsere Maschinen abgestimmt". Hach, ich könnte ihn erwürgen! Wieso konnte er mir das nicht ganz normal sagen? Ich bin niemals hier hereingekommen und habe geschrien: Seht her, hier bin ich und weiß alles!

Ich versuchte ruhig zu bleiben.

"Lösungsvorschläge?", fragte ich.

"Nun, wir haben uns hier in den letzten vier Wochen schon auf intensive Lieferantensuche gemacht und natürlich auch Gespräche mit Ziebold geführt. Aber bisher ohne Erfolg"

"Dann muss die Produktion des AR 450 gestoppt werden", sagte ich. AR 450 war die Typenbezeichnung unserer Sitzrasenmäher. Lindthof lachte auf.

"Gestoppt werden? Wie stellen sie sich das vor? Sollen unsere Umsätze schlechter werden, nur weil ein Zulieferer schlampt? Vom Imageschaden ganz zu schweigen!".

"Unsere Kunden erwarten eine gewisse Qualität unserer Produkte, wenn sie dafür ihr Geld ausgeben. Was schlagen sie also vor?", fragte ich, um Gelassenheit bemüht. Er sollte jetzt irgendetwas sagen, dann konnte er wieder verschwinden.

"Nun, wir werden natürlich weiter produzieren, die Motoren genauestens prüfen und eventuelle Mängel ausbessern, was die Firma Ziebold dann bezahlen muss. Diesen Vorschlag würde ich deren Chef gerne machen"

"Und darauf gehen die ein?", fragte ich und hörte selbst, wie überrascht ich klang.

"Ihnen bleibt gar keine andere Wahl. Außerdem werde ich sagen, dass wir uns nach einem anderen Zulieferer umschauen werden, wenn sie ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, was wir natürlich parallel sowieso machen werden". Mir kam kurz in den Sinn, dass die Firma Ziebold diese Qualitätsmängel nur deshalb bekommen hatte, weil sie Mitarbeiter entlassen mussten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sollten sie uns verlieren, müssten bei denen noch mehr Menschen gehen, die dann arbeitslos waren. Es gelang mir nicht ganz, diese Gefühle in mir zu verdrängen, obwohl ich wusste, dass sie fehl am Platz waren. Hier ging es um unsere Firma, ich musste schauen, dass es uns gut ging. Und niemandem sonst. Das mir das so schwer fallen würde, hätte ich nicht gedacht, deshalb fügte ich hinzu:

"Sagen sie der Firma Ziebold, dass wir sie gerne als Zulieferer behalten wollen, aber das die Qualität der Motoren wieder auf den ursprünglichen Zustand wechseln muss. Egal wie". Mein Geschäftsführer sah mich kurz schweigend an, dann nickte er.

"In Ordnung. Ich werde schon die richtigen Worte finden". Natürlich! Davon war ich überzeugt! Mr. "Ich-kann-alles-und-weiß-alles" würde das sicherlich hinbekommen! Lindthof verließ mein Büro und ich atmete auf.

Frau Behringer brachte mir kurz vor der Mittagspause die Post.

"Und vergessen sie nicht, Pause zu machen!", sagte sie lächelnd. "Soll ich ihnen noch einen Kaffee machen?"

"Nein danke", sagte ich und machte mich daran, die Post zu bearbeiten. Einer der Briefe sah seltsam aus. Kein Absender, an mich persönlich adressiert. Ich öffnete ihn mit einem komischen Gefühl im Bauch. Und sollte recht behalten.

 

Ich hielt einen mit dem Computer geschriebenen Brief in der Hand:

Mir wurde augenblicklich schlecht. Und ich bekam Angst.

 

Ich hatte keine Ahnung, von wem dieser Brief sein konnte. Frau Gräfin! Die Person wusste also zumindest, dass mir die Grafschaft gehörte. War dieser Brief von Erich? Aber woher wusste er die Firmenadresse? Ich hatte sie ihm nie gegeben. Für die Polizei wäre es sicher ein leichtes gewesen, den Täter zu finden, aber ich wollte nichts riskieren. Beobachtet. Hieß das etwa, dass ich auch jetzt, in diesem Moment, beobachtet wurde?

 

Meine Knie zitterten so stark, dass sie hart gegeneinander klopften.

 

Was sollte ich denn jetzt tun?

Ich konnte im Moment nicht mehr tun als zu warten. Ich würde ja irgendwann wieder einen Brief bekommen, und mir brach schon bei dem Gedanken der Schweiß aus. Wie gerne hätte ich mich jemandem anvertraut, doch ich durfte nichts riskieren. Nicht auszudenken, wenn meiner Familie etwas passierte! Wusste dieser Irre auch, wo ich wohnte? Daran durfte ich gar nicht denken!

 

Als ich die Firma verließ, sah ich mich nervös um und fühlte mich sehr beobachtet. Mein Herz klopfte vor Angst wie verrückt, und ich beeilte mich, um zu dem Geschäftswagen meines Großvaters zu kommen, mit dem ich die Strecke von Sunset Valley nach SimCity und wieder zurück fuhr.

 

Mit einem mehr als unguten Gefühl machte ich mich auf den langen Heimweg. Wenn ich in drei Tagen wieder kam, war vielleicht schon der nächste Brief da. Was mochte da wohl drinstehen?

 

 

Hier geht es zu den Screenshots der 7. Aufgabe >>