Dein ist mein fünftel Herz!

Am nächsten Morgen musste ich früh aufstehen, denn der Weg nach Sim City war weit und ich musste zuerst mit dem Taxi zum Bahnhof und von dort mit dem Zug weiterfahren.

Müde saß ich also in dem gelben Taxi, denn ich hatte kaum ein Auge zugemacht letzte Nacht. Zuviel ging mir im Kopf herum. Was ich meinen Eltern sagen wollte, wie sie darauf wohl reagierten (höchst erfreut natürlich, was denn sonst, Gabriel???). Ich wollte sie zu meinem Geburtstag einladen und ihnen zeigen, wo und wie ich nun lebte. Gut, dass ich noch von den Baldriantropfen hatte, die ich mir zum Einzug von Gernot gekauft hatte, denn ohne die hätte ich wohl gar nicht schlafen können.

Sunset Valley lag noch in der Morgendämmerung, als meine Fahrt begann.

Der Bahnhof von Sunset Valley lag etwas außerhalb der Stadt am Rande der Berge. Viel los war um diese Uhrzeit noch nicht.

Gut, dass die Läden hier schon geöffnet waren. So ging ich in die Buchhandlung und erstand einen Roman, den ich auf der Fahrt und während meiner Wartezeiten lesen konnte.

So setzte ich mich also auf eine Bank, nahm mein Buch und wartete auf meinen Zug, der schon bald eintreffen sollte. Der Bahnhof füllte sich auch so langsam.

Die Zugfahrt nach Sim City war lange und ich war froh, dass ich mir das Buch gekauft hatte. Mein Sitznachbar war nämlich ein sehr ruhiger Mann, der die meiste Zeit nur dasaß und Löcher in die Luft starrte. Außerdem war es hilfreich in meinem Versuch, meine Nervosität in den Griff zu bekommen.

Nach einer langen und ermüdenden Fahrt kam ich sogar ein paar Minuten früher bei meinen Eltern an. Ich stand einige Zeit vor meinem Elternhaus und meine Beine wollten sich nicht so recht in Richtung der Haustüre samt Klingel bewegen. Nun sei nicht feige!, schimpfte ich mich selbst. Du bist, verdammt noch mal, erwachsen! In drei Tagen wirst du sogar noch älter! Also, vorwärts jetzt!

Ich klingelte. Der schrille Ton der Klingel durchzuckte mich, und nur einen Moment später wurde die Tür aufgerissen, so als wenn man schon hinter der Tür auf mich gewartet hätte. Mein Vater stand vor mir. Er sah unverändert aus. Akkurat gebürstetes Haar, gepflegter Vollbart, ein maßgeschneideter Anzug. Meine Mutter stand hinter ihm, und so wie ich das sehen konnte, war auch sie unverändert. Ich wollte gerade ansetzen, um die beiden zu begrüßen, als mein Vater sagte:

"Nun, Gabriel. Wir sind auf deine Erklärung für deine Frechheit gespannt! Also raus mit der Sprache!". Die verschlug es mir jedoch zuerst mal. Mein Vater hatte mich nicht einmal begrüsst! Wir haben uns wochenlang nicht gesehen, und das erste, was er zu mir sagte, sollte das sein?

"Darf ich erstmal reinkommen?", fragte ich deshalb auch und sah meinem Vater fest in die Augen, obwohl ich schon fast zitterte vor Aufregung. Er hielt meinem Blick ein paar Sekunden stand, bevor er den Weg nach drinnen frei gab. Ich trat also in das Haus, in dem ich aufgewachsen war. Auch hier hatte sich nicht das Geringste verändert, es war, als wäre ich erst gestern ausgezogen oder als wenn hier die Zeit einfach eingefroren war.

Meine Mutter ließ es sich nun nicht nehmen, mich kurz zu umarmen.

"Hallo Gabriel!", sagte sie und ich war froh, hier überhaupt von jemandem begrüßt zu werden.

"Hallo, Mutter!", sagte ich steif, und sie ließ mich schnell wieder los.

"Gabriel, was hast du dir nur dabei gedacht?", fing mein Vater sofort an, kaum das ich richtig im Haus war. "Du hast uns schamlos belogen und uns hinters Licht geführt. Was sollte das? Hat es dir Spass gemacht, ja?"

"Nein", sagte ich bestimmt. Spass gemacht! Als wäre es mir um meinen Spass gegangen!

"Dann erkläre uns mal ganz genau, was diese lächerliche Aktion sollte! Für wie dumm hast du uns eigentlich gehalten? Hast du wirklich geglaubt, dass wir dir nicht auf die Schliche kommen?"

"Natürlich nicht!", sagte ich schnell, "Ich hätte euch ja eingeweiht. Nämlich heute. Deshalb wollte ich euch auch besuchen kommen", verteidigte ich mich.

"Jetzt lass ihn sich erstmal setzen!", sagte meine Mutter zu Vater und ging in das Wohnzimmer vor. "Kommt schon!", rief sie noch. Widerstrebend setzte sich mein Vater in Bewegung und ich folgte ihm. Man merkte ihm an, dass ihm diese Pause ungelegen kam.

Wir setzten uns also im Wohnzimmer auf die Sofas, meine Mutter stellte noch Getränke bereit, dann setzte auch sie sich hin. Einen kurzen Moment war es ganz ruhig, doch dann sagte sie:

"Du hast uns sehr enttäuscht. Wir haben dir vertraut, und du hattest nichts Besseres zu tun, als uns etwas vorzuspielen, und das wochenlang". Sie sah mich an und ich erkannte verwirrt, dass die Kühle aus ihren Augen verschwunden war. Die Kühle, mit der sie mich als Kind so oft angesehen hatte. Jetzt war da etwas anderes darin zu lesen, doch ich konnte es nicht zuordnen. Vielleicht, weil ich meine Mutter noch nie so gesehen habe. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der jetzt zur Bestform auflief.

"Enttäuscht ist gar kein Ausdruck!", polterte er los, und seine Ader auf der Stirn trat pochend hervor. "Wir haben jetzt auch genug um den heißen Brei herumgeredet! Du sagst uns auf der Stelle, wo du wohnst, warum du diese ganze Geschichte gemacht hast und wo unser Geld ist!". Er sah mich mit zornigen Augen an. Okay. Showtime.

"Ich wollte nicht studieren. Ihr wusstet das. Aber habt ihr mir überhaupt richtig zugehört, als ich das zu euch gesagt habe? Für euch ist festgestanden, dass ich die Firma übernehme, nach einem tollen Studium an einer Elite-Uni. Das ich das überhaupt nicht wollte, das es gegen meine Natur ging, das hat euch überhaupt nicht interessiert! Aber ihr habt es gewusst und mich trotzdem auf diesen Weg gezwungen! Dabei hasse ich es, personelle Entscheidungen treffen zu müssen. Ich hasse das Börsengeschäft, ich hasse Vorstandssitzungen. Ich hasse es, den ganzen Tag in einem Chefsessel sitzen zu müssen und mich mit Fragen auseinanderzusetzen, wie neue Verkaufsstrategien ankommen. Ich möchte etwas aktiv tun. Ich liebe die Natur! Versteht ihr? Ich kann nicht in der Chefetage sitzen! Ich muss raus, ich muss in der Erde buddeln, etwas erschaffen!". Ich hielt erschöpft inne. Es war einfach aus mir herausgesprudelt, aber es musste einfach mal raus.

"Dein Großvater und deine Mutter und ich haben etwas Großes erschaffen mit dieser Firma, zum Kuckuck! Du hättest es weiterführen können, vielleicht noch größer machen können! Wir sind hier im Land noch nicht Marktführer, das wäre doch ein gutes Ziel gewesen! Aber nein, der Herr muss seinen Dickkopf durchsetzen und nicht studieren!"

"Weil es mir nicht gefällt, eine Firma zu leiten! Ich habe es doch bei euch gesehen! Ihr hattet für nichts anderes mehr Zeit, nicht für euch selbst oder für euer Kind! Ich kannte meine Kindermädchen besser als meine eigenen Eltern! Und das will ich nicht!", sagte ich erregt und viel von dem Schmerz, den ich in meiner Kindheit ertragen musste, kam mit diesen Worten zum Ausdruck. Und ich hatte damit erreicht, dass sowohl Vater als auch Mutter für einen Moment geschockt innehielten.

Meine Mutter war es dann, die das Schweigen brach.

"Aber wie stellst du dir die Zukunft vor? Was soll aus dem Familienunternehmen werden? Vergiss nicht, dass dein Großvater diese Firma gegründet hat, als die Familie praktisch nichts mehr hatte, nachdem deine Urgroßeltern im Krieg nicht nur jeden Besitz, sondern auch ihren Grafentitel verloren. Dein Großvater leistete schier unglaubliches, wie soviele in dieser Zeit. So ein Erbe tritt man nicht mit Füssen!". Ich seufzte auf.

"Nein, das will ich auch gar nicht. Ich wollte einfach mit euch nach einer Lösung suchen. Die es mit Sicherheit gibt. Aber ihr habt mir nie richtig zugehört. Ihr habt es nichtmal versucht, auch mich zu verstehen!".

"Weil du einfach bockig bist!", schnaubte mein Vater.

"Das bin ich nicht!", widersprach ich. "Ich möchte einfach mein Leben mit einem Beruf verbringen, bei dem ich noch Zeit für Freunde und Familie habe. Und der mir Spass macht. Und das hätte ich hier nie!"

"Zeit ist ein Luxusgut!", sagte mein Vater und starrte mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

"Für euch ja", wandte ich ein. "Das weiß ich und habe ich auch oft genug mitbekommen. Und genau das möchte ich anders haben".

"Du bist ein Träumer!", sagte Vater wütend und sprang auf. "Du glaubst wahrscheinlich, dass das Leben ein Zuckerschlecken ist und du sowohl gut Geld verdienen kannst als auch genug Zeit für anderes hast! Aber so läuft es nunmal nicht, Freundchen!". Ich lächelte und erhob mich ebenfalls, um mit ihm auf gleicher Augenhöhe zu bleiben.

"Oh doch, genauso kann es laufen. Ich sehe es doch jetzt: Ich verdiene gutes Geld und habe trotzdem noch Zeit für anderes". Ich war stolz, dass ich offensichtlich einen Weg gefunden hatte, wie man beides verbinden konnte.

"Von was für einer Arbeit reden wir denn hier überhaupt?", wollte meine Mutter wissen.

"Mutter, ob du es glaubst oder nicht, aber ich arbeite in einem wissenschaftlichen Institut mit Pflanzen. Außerdem bin ich in meiner Stadt der Biolieferant für den Lebensmittelladen, was mich absolut glücklich macht. Das ist genau das, was ich wollte". Meine Eltern sahen mich verblüfft an und diese Verblüffung tat mir gut.

"Du arbeitest jetzt also tatsächlich mit Dreck!", sagte meine Mutter fassungslos und starrte meine Nägel an, unter denen fast immer ein kleiner, dunkler Rand zu sehen war. Auch jetzt.

"Mit Erde, Mutter! Das ist ja wohl ein Unterschied!"

"Was aber schlägt der Herr hier vor? Du magst ja einen ordentlichen Beruf haben, und davon gehe ich mal aus, wenn du Wissenschaftler bist". Gekonnt ignorierte mein Vater die Tatsache, dass ich auch einfach ein Gärtner war. Mit einem Wissenschaftler konnte er wahrscheinlich besser leben, es war doch immer das Gleiche. "Wie soll es mit der Firma weitergehen, wenn wir mal nicht mehr können?"

Die Frage schwebte im Raum und beide sahen mich nun erwartungsvoll an. Doch ich habe mir ja schon oft Gedanken deswegen gemacht, zuletzt heute Nacht.

"Ich hätte vorgeschlagen, dass die geschäftlichen Belange von einem von uns eingestellten Geschäftsführer erledigt werden. Diese Dinge, die ich mir für mich nicht vorstellen kann", begann ich, wurde aber sofort von Vater unterbrochen.

"Ein Geschäftsführer möchte Geld, und das nicht wenig! Hast du noch mehr solcher glorreichen Vorschläge auf Lager?". Ich funkelte meinen Vater böse an. Er tat es schon wieder!

"Siehst du, du lässt mir überhaupt keine Chance! Du stempelst alle meine Ideen als Blödsinn ab ohne dich genauer damit zu befassen! Findest du das eigentlich fair? Und da wunderst du dich, dass ich einfach abgehauen bin!"

"Also das ist doch...!", schnappte mein Vater nach Luft, doch ich ließ ihn diesmal nicht weitersprechen.

"Das ist genau das Problem! Immer hast du etwas zu meckern, immer bin ich nicht gut genug! Ich habe es satt! Was wäre so falsch an einem Geschäftsführer? Wir wären weiß Gott nicht die 1. Firma, die soetwas macht! Und wisst ihr, ich sage ja nicht, dass ich gar nicht für die Firma arbeiten würde! Es gibt genügend Bereiche, die mich erfüllen könnten! Die Forschungsabteilung zum Beispiel. Die hat sich bis jetzt nur auf neue Technologien fokusiert, aber ich hätte den Vorschlag gemacht, diese Abteilung zu erweitern, um auch Schädlingsbekämpfungsmittel und Pflanzenschutzmittel zu erforschen. Ich habe jetzt die Praxis, sowohl was die Gartenarbeit als auch die Forschungsarbeit anbelangt. Man könnte das Sortiment erweitern, ich kenne jetzt die Probleme, die so ein Garten mit sich bringt! Aber nein, die Herrschaften sehen mich nur auf einem Chefsessel sitzen und denken nichtmal daran, ihre verdammten Scheuklappen abzusetzen!". Erschöpft hielt ich inne.

Einige Sekunden verstrichen, in denen meine Eltern zuerst mich, dann sich selbst anstarrten. Ich hatte keine Ahnung, was in ihren Köpfen vorging, war aber zutiefst enttäuscht, dass dieses Gespräch diese Richtung eingenommen hatte. Aber ich hatte ja so treffend bereits am Anfang festgestellt, dass sich nichts verändert hatte. Dies galt offensichtlich auch für meine Eltern.

"Ich wohne in Sunset Valley", sagte ich matt und drückte meiner Mutter meine Visitenkarte vom Institut in die Hand, die auf der Rückseite auch meine private Adresse enthielt. Meine Mutter blickte auf die Karte und wurde plötzlich kalkweiß.

"Gabriel Hohenstein steht da!", sagte sie mit einer spitzen Stimme und sah mich entsetzt an. Mein Vater riss ihr die Karte aus der Hand und las nun ebenfalls. Dann sog er erschrocken die Luft ein.

"Was hat das zu bedeuten, Gabriel?", fragte er eisig.

"Das ist das einzig Unvernünftige und Bockige, was ich in den letzten Wochen gemacht habe!", sagte ich fest. Ja, es war trotzig und kindisch gewesen, mein "von" einfach abzulegen. Aber es hatte mir damals die Luft zum Atmen genommen, auch wenn sich das komisch anhörte. Mit Ablegen dieses kleinen Zusatzes hatte ich ein neues, befreites Leben angefangen. "Ihr würdet es nicht verstehen!", sagte ich noch, bevor ich mich umdrehte und aus dem Haus ging.

Mein Zug zurück nach Sunset Valley ging erst heute Abend um 19.00 Uhr, deshalb musste ich hier irgendwie die Zeit rumbringen.

 

Zuerst ging ich auf den Friedhof von Sim City, um das Grab von Maria zu besuchen. Es war schade, dass ich keine Blumen hatte, die ich ihr auf das Grab stellen konnte, aber es war Sonntagnachmittag und jeder Blumenladen hatte bereits geschlossen. Ich hätte ihr Margeriten gekauft, ihre Lieblingsblumen, die sie auch in ihrem Garten stehen gehabt hatte. Ich suchte die Grabstelle und wusste nur noch, dass sie sich im hinteren Teil des Friedhofes befand.

Ich fand es nach einigem Suchen, denn es war ungepflegt und verwittert, was mich nicht wunderte, schließlich hatte sie hier in der Nähe keine Verwandtschaft mehr. Ihre Tochter war gleich nach Beendigung ihrer Ausbildung weggezogen und ihr Sohn, der der Assistent meines Vaters gewesen war, hatte die Stadt nach ihrem Tod verlassen.

Ich bückte mich und begann, das Unkraut zu rupfen. Es geschah fast automatisch. Zu dumm, dass ich hier keine Gartengeräte hatte. Auch mussten hier dringend Blumen her, die zwei Buchsbäume, die links und rechts von ihrem Grabstein wuchsen, waren dringend zu schneiden. Wie gern hätte ich hier richtig Hand angelegt.

Doch wenigstens dieses Unkraut musste weg. Ich rupfte wütend an den dämlichen Unkrautpflanzen herum und ließ an ihnen auch meine Wut über das missglückte Gespräch mit meinen Eltern aus. Der Grabstein war von Moos und Grünspan übersäht und ich versuchte ihn ein wenig zu säubern. Der Name stach mir ins Auge. Ich hatte Maria soviel zu verdanken, das würde ich ihr nie vergessen.

Als ich kurz vor 23.00 Uhr wieder zu Hause war, war ich erschöpft und müde. Ich schlich mich ins Haus, hörte Gernot schnarchen, als ich an seinem Zimmer vorbeiging und erwartete, dass auch Pauline in diesem Zimmer lag und eingekuschelt in Gernots Armen schlief. Doch ich hatte mich geirrt.

Pauline wartete auf mich im Wohnzimmer. Als ich eintrat, sah sie mich an und schaltete den Fernseher aus, in den sie bis eben gesehen hatte.

"Gabe! Na, endlich!", sagte sie und stand auf.

"Was machst du denn noch auf? Ist irgendetwas passiert?", fragte ich erschrocken. Doch Pauline stand lächelnd auf und kam auf mich zu.

"Nein, keine Sorge! Um dich habe ich mir allerdings ein bißchen Sorgen gemacht, muss ich sagen. Ich dachte schon, deine Eltern hätten dir den Kopf abgerissen".

"Bevor das passieren konnte, bin ich gegangen!", sagte ich. "Aber mein Zug ist erst heute abend um sieben gefahren".

"Wie ist das Gespräch gelaufen?", fragte sie vorsichtig.

"Frag lieber nicht!", antwortete ich grimmig.

"Das tut mir leid", sagte Pauline bedauernd. "Ich hatte so gehofft, dass ihr euch aussprechen konntet". Ich erzählte Pauline etwas von dem Besuch bei meinen Eltern, war aber irgendwann so müde, dass ich mich kaum mehr konzentrieren konnte. Also vertagten wir den Rest der Erzählung auf den nächsten Tag und gingen ins Bett. Pauline ging natürlich zu Gernot.

Am nächsten Tag, bevor Pauline zur Arbeit musste, nahm sie sich noch die Zeit für ein Gespräch mit mir. Ich war wieder einigermaßen fit und konnte ihr nun alles erzählen.

"Also, erzähle mal genau, was deine Eltern gesagt haben, Gabe. Waren sie denn so gar nicht beeindruckt von dem, was du schon alles erreicht hast?"

"Davon waren sie weit entfernt, glaube mir!", sagte ich nicht ohne Enttäuschung in der Stimme. "Du hättest mal den Blick meiner Mutter sehen sollen, als sie meine dreckigen Fingernägel entdeckt hat. Und du solltest wissen, dass ein Gärtner nicht mit Erde, sondern mit Dreck arbeitet. Das war O-Ton meine Mutter". Pauline schüttelte leicht den Kopf.

"Und dein Vater? Wie hat er reagiert?"

"Oh Gott, mein Vater", sagte ich seufzend. "Er hat mich gar nicht ernst genommen, so wie früher auch schon. Dass ich Gärtner bin hat er gekonnt überspielt. Wenigstens meinen Job als Wissenschaftler hat er realisiert, weshalb ich ihm gar nicht sagen konnte, dass mein Bericht über den Zasterus Klunkerikus so gut wie beendet ist und somit auch meine Arbeit für das Institut. Aber sonst hat er alle Vorschläge, alles was ich sagte, als Blödsinn abgetan. Es machte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren"

"Sie sollten wirklich aufhören, dich wie ein Baby zu behandeln!", meinte Pauline. "Sie müssen lernen, dass du ein erwachsener Mann bist, der seine eigenen Entscheidungen treffen kann". Wieder seufzte ich auf.

"Ich glaube kaum, dass sie das überhaupt wollen. Sie sehen mich als Erbe der Firma und sonst als nichts anderes. Das ich auch ihr Sohn bin, haben sie wohl in den vielen Jahren harter Arbeit einfach vergessen". Ich schluckte hart. Es war nicht leicht, diese Tatsache laut auszusprechen. Wie gern hätte ich das anders gehabt. Auch Pauline bemerkte, dass ich mich nun unwohl fühlte.

"Weißt du, ich kenne deine Eltern ja nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden dort draußen gibt, der vergessen soll, dass du sein Sohn bist". Ich lächelte leicht und sah sie dann an.

"Danke"

"Hey, nichts zu danken! Ich spreche nur das aus, was ich denke!". Pauline erhob sich. "Ich muss mich fertig machen, meine Fahrgemeinschaft kommt bald. Wenn du noch etwas erzählen möchtest, können wir das ja heute abend machen". Ich winkte ab.

"Nein, du hast mir schon viel geholfen. Mehr gibt es eigentlich auch nicht zu erzählen und ich sollte auch wieder auf andere Gedanken kommen. Aber danke für das Angebot!"

Pauline war gerade in das Auto von ihrer Fahrgemeinschaft gestiegen, als Bebe im Garten stand. Sie begrüßte mich mit einem Kuss. Sie wollte wissen, ob sie mir auf meiner bevorstehenden Geburtstagsparty etwas helfen könne.

"Vielleicht könntest du einen Salat für das Buffet mitbringen, aber sonst gibt es eigentlich nichts mehr zu tun, danke!"

"Gut, dann bringe ich dir deinen Lieblingssalat mit", sagte sie.

"Wunderbar!", sagte ich begeistert und meine Laune hob sich schon wieder. Sie stand vor mir, ich sah sie an und stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn sie hier leben würde. Und plötzlich dachte ich laut:

"Wie wäre es, Bebe, wenn du nicht nur einen Salat, sondern auch deine Koffer mitbringen würdest? Immerhin habe ich ein Doppelbett, das ich alleine nutze. Wir würden jeden Morgen zusammen aufwachen und abends gemeinsam einschlafen. Würde dir das nicht auch gefallen?". Ich sah sie erwartungsvoll an.

Doch Bebes Blick sprach Bände.

"Fragst du mich jetzt und hier, ob ich zu dir ziehen möchte?", fragte sie säuerlich. Das hatte ich wohl nicht richtig angepackt.

"Äh, da spricht doch nichts dagegen, oder? Ich meine, wir zwei lieben uns, sind schon eine Weile zusammen, und ich habe hier ja wirklich noch Platz, also warum nicht?".

"Weil ich - soviel Nähe nicht möchte", sagte sie. "Ich brauche meine Freiheiten und das weißt du auch! Es ist doch alles wunderbar, so wie es jetzt ist, warum sollten wir daran etwas ändern? Wenn ich erst hier wohnen würde, käme dann schon bald die Frage nach einer Heirat, dann nach Kindern usw. Du weißt wie ich darüber denke, Gabriel! Bitte mache es jetzt nicht kompliziert!". Ich war zwar völlig perplex doch beschwichtigte ich sie, so gut wie ich es in dieser Situation noch konnte. Erst später, als sie wieder gegangen war, realisierte ich erst richtig, dass sie es abgelehnt hatte, zusammen mit mir zu leben. Und, so wie es aussah, auch nicht vorhatte. Ich war sehr verwirrt, aber vielleicht brauchte sie einfach nur etwas Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass wir einmal zusammen wohnen könnten. Und vielleicht war ich einfach zu ungeschickt gewesen, als ich sie gefragt hatte. Der Zeitpunkt war vielleicht nicht ganz günstig gewählt gewesen.

In den nächsten Tagen steckte ich dann aber so in den Vorbereitungen für meinen Geburtstag fest, das ich mir über das Gespräch mit Bebe kaum noch Gedanken machte.

Pauline...

... und selbst Gernot halfen mir sehr dabei. Auch wenn es Gernot nie vor mir selbst zugeben würde, aber ich wusste von Pauline, dass er sich insgeheim auf eine Party freute. Er mochte es, wenn das Haus voller netter Leute war, es gutes Essen und fetzige Musik gab. Pauline hatte mich noch gefragt, ob es für mich in Ordnung wäre, wenn eine Frau zu meiner Party käme, die sie im Theater kennengelernt hatte. Sie war Polizistin und war für die Sicherheit im Theater zuständig und zudem neu in der Stadt. Das hieß, dass sie noch niemanden kannte. Pauline wollte ihr so die Möglichkeit geben, Menschen kennenzulernen. Ich willigte ein, denn auch ich war damals froh gewesen, als sich Pauline um mich ´Neuling` gekümmert hatte.

Und dann war er schon da, der große Tag. Ich hatte Geburtstag. Noch bevor der große Trubel begann, rief mich Pauline in mein Schlafzimmer.

"Ich möchte dir mein Geschenk jetzt schon geben, bevor ich nachher nicht mehr dazukomme!", sagte sie.

"Du brauchst mir doch nichts zu schenken!", meinte ich. Das meinte ich ernst, immerhin hatte sie mir sehr viel geholfen, diese Party zu organisieren. Das war eigentlich schon Geschenk genug.

"Blödsinn!", sagte sie resolut. "Wie könnte ich dir nichts schenken an deinem großen Tag? Ich hoffe, dass dir das Geschenk gefällt, ich habe es auf einer meiner Wanderungen gefunden . Es ist ziemlich selten, deshalb dachte ich, dass es etwas für dich wäre".

"Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht!", sagte ich lachend. Dann drehte sich Pauline um und zeigte auf ein kleines Terrarium, dass auf der Kommode stand.

"Das hier drin ist ein Zebra-Schmetterling", erklärte sie mir und ich besah mir das zarte Insekt genauer. Soetwas hatte ich noch nie gesehen, aber der Name passte wie die Faust aufs Auge. Ein schwarz-weißgestreifter Schmetterling saß in einem liebevoll ausgestatteten Terrarium und bewegte leicht seine Flügel.

"Danke, Line! Er ist wirklich sehr schön!"

"Wirklich? Gefällt er dir?", fragte sie nach.

"Ja, sehr!"

"Das freut mich! Ich werde dir morgen genau erklären, wie du ihn pflegen musst, für heute ist er schon von mir versorgt worden". Sie nahm mich fest in den Arm und sagte:

"Happy Birthday, Gabe!"

"Danke, Line!", sagte ich und drückte sie an mich.

Schließlich war alles fertig und die Gäste konnten kommen. Weil das Wetter mitspielte, hatte ich beschlossen, meine Party im Garten zu feiern.

Und dann kamen auch schon meine ersten Gäste. Schnell füllte sich sowohl der Garten als auch das Haus, das Buffet füllte sich ebenso von den Leckereien, die mir meine Freunde mitbrachten.

Diese Frau, die bei Pauline stand, musste die Polizistin sein, von der sie mir erzählt hatte. Ich war gerade im Begriff hinüberzugehen, um sie zu begrüßen, als Pauline mich rief:

"Gabriel, kommst du mal bitte? Ich möchte dir jemanden vorstellen!"

Ich ging zu ihnen hinüber und Pauline setzte gerade an:

"Mandy, darf ich dir das Geburtstagskind vorstellen? Das hier ist...", doch sie wurde von Mandy unterbrochen.

"Gabriel von Hohenstein! Ich fasse es nicht!". Ich blinzelte verwirrt. Sie kannte meinen Namen, samt "von"-Zusatz. Pauline hatte Mandy gesagt. Mandy... Mandy... Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

"Mandy Thomson! Was machst du denn in Sunset Valley?"

"Das gleiche könnte ich dich fragen! Ich hätte dich jetzt eher als Junior-Chef in eurer Firma erwartet! Und jetzt komme ich hierher und traue meinen Augen fast nicht!". Mandy lachte mich offen an.

"Ihr kennt euch?", fragte Pauline verblüfft und sah von mir zu Mandy und wieder zurück. Ich grinste.

"Ja, stelle dir vor! Mandy ist die Enkelin von Maria Ehlers, von der ich dir schon erzählt habe!"

"Gabriel war oft bei meiner Oma und ist ihr vor allem im Garten zur Hand gegangen. Dafür werde ich ihm ewig dankbar sein, denn hätte er das nicht gemacht, hätte es wohl mich getroffen, und bei mir gehen selbst die Gummibäume ein"

"Dann habt ihr euch sicher viel zu erzählen", sagte Pauline und entfernte sich diskret. Mandy und ich hatten tatsächlich viel zu erzählen, schließlich hatten wir uns zuletzt auf der Beerdigung von Maria gesehen. Damals war ich 16 Jahre alt gewesen, sie 15. Und seither war viel passiert. Da ich mich aber auch um meine anderen Gäste kümmern musste, vereinbarten wir ein Treffen in den nächsten Tagen, wo wir uns in Ruhe unterhalten konnten.

Die Party war inzwischen schon richtig in Gang gekommen und ich freute mich, dass sich meine Gäste amüsierten.

Auch drinnen im Haus wurde gefeiert. Gobias und Ethan Bunch versuchten sich hier im Tanzen, obwohl sie nicht gerade so aussahen, als hätten sie viel Spass dabei.

Die Party war schon recht fortgeschritten, als plötzlich eine mir sehr gut bekannte Person durch unseren Garten lief.

"Was machst du denn hier?", fragte ich nicht gerade sehr intelligent. Meine Mutter lächelte zwar, wirkte aber etwas unsicher.

"Na, mein Sohn hat heute Geburtstag!", sagte sie "Ich möchte dir gratulieren"

"Danke", sagte ich, immer noch völlig baff. Dann suchte ich verstohlen nach meinem Vater.

"Er ist leider nicht mitgekommen", deutete sie meine Blicke richtig.

"Vater ist nicht hier?", vergewisserte ich mich.

"Leider nein", sagte meine Mutter. "Er ist in Sim City geblieben. Ich finde es auch nicht richtig, aber er ist immer noch so sauer, dass er schmollend zu Hause geblieben ist. Also musste ich allein kommen, ich habe mir hier ein Ferienhäuschen gemietet und werde ein paar Tage bleiben. Ich finde, wir sollten noch einmal in Ruhe reden, ich habe mir in den letzten Tagen viele Gedanken gemacht"

"Ja, das wäre schön", sagte ich immer noch perplex. "Aber jetzt feier erstmal, ja? Es gibt ein Buffet, Musik und lauter nette Leute, von denen ich dir ein paar vorstellen werde". Ich konnte es immer noch nicht glauben: Meine Mutter hatte sich tatsächlich alleine auf den Weg gemacht, um meinen Geburtstag mit mir zu feiern! Sie hatte sich hier sogar eingemietet und wollte nicht nur ein paar Tage bleiben, sondern auch mit mir reden.

Ich hatte meiner Mutter das Haus gezeigt, ihr Bebe, Pauline, Gernot vorgestellt und Mandy nicht vergessen, die ja die Tochter des früheren Assistenten meines Vaters ist. Den Streitpunkt Gemüsebeet ließ ich wohlweislich aus.

Dann wurde es Zeit, die Kerzen auf der Torte, die mir Bebe gebacken hatte, auszupusten. 

Als ich die Kerzen ausblies, erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt.

Es war ein magischer Moment: Ich hatte das Gefühl, dass ein Ruck durch meinen Körper ging und ich reifer wurde. Meine Gäste waren begeistert, und ich zog mir schnell ein Jackett über, reif und verantwortungsbewusst wie ich nun war.

Die Party ging weiter, alle amüsierten sich prächtig und ich versuchte, Ethan etwas aus seiner Lethargie zu holen, was mir nicht gelang. Der Mann war einfach nicht zum Tanzen geboren.

Das sind die Geschenke, die ich bekommen hatte. Der Gartenzwerg war von Gobias, die tollen Sonnenblumen von Mandy, das Pflegeset von Jamie, der Radiowecker von Ethan und die Kerze hatte noch Bebe zusammen mit der Torte geschenkt. Rechts lagen die Karten, Gutscheine und Geldgeschenke, die ich vom Rest meiner Gästeschar erhalten hatte.

Wir feierten bis spät in die Nacht und ich war danach zwar kaputt, aber glücklich, denn es war nicht nur eine tolle Party gewesen, es waren auch Personen auf dieser erschienen, mit denen ich niemals gerechnet hätte.

2 Tage später war ich morgens auf dem Weg nach draußen, um die Zeitung zu holen. Ich kam an Gernots und Paulines Zimmer vorbei und die Tür stand auf. So bekam ich gerade noch mit, wie Gernot leise zu Pauline sagte:

"Süße, warum sträubst du dich immer noch dagegen, dass wir uns ein eigenes Haus suchen? Wir verdienen beide nicht schlecht und könnten das schaffen! Verstehe doch bitte, dass ich nicht mehr länger hier bleiben möchte". Dann flüsterte Pauline zurück:

"Du bist undankbar! Gabriel hat dich hier aufgenommen, als du von deinen Eltern weg wolltest!"

"Und deshalb darf ich nun nicht mehr mein eigenes Leben leben, oder was? Habe ich mich etwa verpflichtet, ewig hier wohnen zu bleiben?". Oh Gott, von was redete der Kerl da? Mir wurde heiß und kalt und hielt mich für ziemlich naiv, dass ich die Möglichkeit, dass Gernot und Pauline mal auszogen, gar nicht in Betracht gezogen hatte.

"Nein, natürlich nicht!", sagte Pauline beschwichtigend. "Aber es hörte sich gerade so an, als wenn du es hier nicht mehr aushalten würdest".

"Nun, so schlimm ist es nicht, aber Baby, ich möchte, dass wir beide uns etwas Eigenes aufbauen"

"Lass mir Zeit", bat Pauline, und ich machte, dass ich weiterkam.

Das Gespräch zwischen Pauline und Gernot hatte mich ziemlich entsetzt, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich alleine in diesem Haus leben musste. Ich kümmerte mich um meinen Garten, der stetig wuchs, und war gerade dabei meine neuen Käsepflanzen zu ernten, als dieser junge Mann zu uns kam. Ich kannte ihn flüchtig, es war Ian Bowler und war ein Kollege von Pauline.

Ich fragte mich gerade, was dieser seltsam gekleidete Mann hier wollte, als er von Pauline auch schon freudestrahlend begrüßt wurde.

Die beiden flirteten ziemlich offensichtlich miteinander und schienen komplett vergessen zu haben, dass ich jedes Wort von ihnen hören konnte. Ich war gerade dabei, ins Haus zu gehen, damit ich diese Szene nicht hören und sehen musste, als sich die beiden plötzlich küssten! Ich blieb wie angewurzelt stehen und konnte nicht anders, als sie anzustarren. Das musste ich nicht verstehen, oder?

Am nächsten Tag war ich mit Mandy verabredet. Als ich aus dem Haus ging, stand ein völlig unbekannter Mann vor unserem Haus. Ich fragte ihn, wohin er denn wolle, und er nuschelte, dass er zu Pauline Wan wollte. Ich rief nach Pauline und machte mich auf zu meiner Verabredung.

Mandy wartete schon vor dem kleinen Bistro, in dem wir verabredet waren, auf mich. Im Sportdress.

"Bist du etwa hierhergejoggt?", fragte ich.

"Ja, du weißt ja, als Polizistin muss ich fit sein"

"Mich kann man mit Sport jagen!", sagte ich grinsend.

"So wie mich mit Gartenarbeit!". Wir setzten uns an einen freien Tisch und warteten auf den Kellner.

"Jetzt erzähle mal, was dich hierher verschlagen hat!", forderte ich sie dann auf.

"Der Beruf", antwortete Mandy. "Ich bin in einer Sonderkommission, die hierher geschickt wurde, weil wir vermuten, dass hier der Sitz eines Dealerringes ist"

"Bitte was?", fragte ich entsetzt. "Drogen? Hier in Sunset Valley?"

"Du glaubst gar nicht, welche unscheinbaren Orte sich diese Bosse aussuchen, um ihre Geschäfte zu machen. Aber es ist noch nichts bewiesen, es ist nur eine Vermutung. Mehr darf ich dir darüber auch gar nicht sagen"

"Ich verstehe", murmelte ich. "Und wie hast du Pauline kennengelernt?"

"Ich und mein Kollege observieren das Theater, inkognito. Nur die höheren Mitarbeiter des Theaters wissen Bescheid, also auch Pauline. So sind wir irgendwann ins Gespräch gekommen"

"Und dann hat sich die gute Seele sofort um dich gekümmert!", sagte ich lächelnd und erinnerte mich an meine ersten Tage hier in der Stadt.

"Ja, deine Freundin ist zauberhaft!", sagte Mandy.

"Oh, sie ist nicht meine Freundin!", erklärte ich schnell. "Also, natürlich ist sie meine Freundin, aber nur rein platonisch".

"Ach so?", gab sich Mandy erstaunt. "Dabei hätte ich schwören können... So wie ihr miteinander umgegangen seid, wie ihr geredet habt... Tut mir leid, da habe ich wohl etwas falsch verstanden". Ich schluckte und erklärte:

"Meine Freundin heißt Bebe, sie war auch auf der Party. Und Pauline ist mit Gernot zusammen"

"Gernot ist der andere Mitbewohner, oder?"

"Ja, genau"

"Okay, dann bin ich wohl jetzt im Bilde!", lächelte sie. Unser weiteres Gespräch drehte sich dann vor allem um unsere beruflichen Werdegänge, ich erzählte warum ich hierhergezogen und wie meine erste Zeit hier gelaufen war. Ich erfuhr, dass sie Single war und im Moment überhaupt keine Zeit für eine Beziehung hatte, wie sie mir grinsend gestand.

Nach dem Essen verabschiedeten wir uns herzlich und versprachen, in Kontakt zu bleiben.

Zuhause war die Stimmung dagegen eisig, Pauline und Gernot maulten sich an und ich fragte mich, ob es mit Paulines Männerbekanntschaften zusammenhing und ob Gernot Wind davon bekommen hatte. Ich selbst war hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, eine diebische Freude am Zwist zwischen den beiden zu empfinden und Gernot zu bemitleiden. Er blieb für mich wohl immer ein Trottel, aber das ihn Pauline nun so betrog... Ich erkannte sie fast nicht wieder!

Auch am nächsten Tag war es nicht besser, im Gegenteil. Ich war im Garten beschäftigt, und doch hörte ich die lauten Stimmen der beiden bis zu mir.

"Gernot, ich muss dir was sagen", hörte ich Pauline sagen.

"Ich weiß schon", sagte er.

"Es hätte nicht funktioniert", sagte Pauline.

"Das sehe ich anders". Den Rest verstand ich dann leider nicht mehr, aber es war offensichtlich, was hier passierte.

Ich war noch im Garten beschäftigt, als mich meine Mutter besuchen kam. Als sie meinen Geldbaum erblickte, sah ich regelrecht die Paragraphenzeichen in ihren Augen aufblitzen. Ich wusste nicht, ob es an dem Baum lag oder an etwas anderem, aber sie schien sich fast für mich und mein neues Leben zu interessieren.

"Gabriel, mir ist in den letzen Tagen viel klar geworden, das meiste seit ich hier wohne und selbst Abstand zu der Firma habe. Ich möchte sogar soweit gehen zu sagen, dass ich dich sogar etwas verstehen kann. Ich sehe, wie gut es dir hier geht. Ich habe mich schon an deinem Geburtstag gefragt, wann ich dich zuletzt so fröhlich und ausgelassen gesehen habe". Sie machte eine Pause und ich konnte sie nur anstarren. Stand hier tatsächlich meine Mutter vor mir?

"Mutter, du musst wissen, dass mir dieser Schritt überhaupt nicht leichtgefallen ist. Einfach abzuhauen - das war ja nicht gerade die feine, englische Art. Aber ich hatte das Gefühl zu ersticken und musste weg. Euer Studiengeld war dann die Chance. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch belogen habe", sagte ich reumütig. Meine Mutter sah mich lange an, dann sagte sie:

"Anfangs waren wir auch sehr sauer, das kannst du mir glauben! Aber nun, seit ich dich hier so sehe...". Sie ließ den restlichen Satz offen, doch ich wusste, was sie meinte.

"Und ich habe das übrigens ernst gemeint, dass ich auch in einer anderen Abteilung für die Firma gearbeitet hätte. Hättet ihr mir nur zugehört!", konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.

"Ich glaube, auch ich muss mich entschuldigen", sagte meine Mutter leise und das war der Moment, als das Eis zwischen uns zu brechen begann. Wir näherten uns an, vermutlich das erste mal in unserem Leben. Als sie wieder ging, gab es natürlich noch viele offene Fragen, denn wir hatten einiges aufzuarbeiten, aber wir befanden uns auf einem guten Weg. Ich hoffte, dass auch mein Vater irgendwann wieder zu einem Gespräch bereit sein würde.

Abends war ich dann ein paar Bahnen schwimmen, um meine Fitness nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Vermutlich hatte mir diesen Floh Mandy ins Ohr gesetzt. Danach ließ ich mir noch einen Kaffee schmecken und grübelte nach. Was ich ja schon oft festgestellt hatte, war auch jetzt wieder eingetroffen: wenn irgendetwas Gutes passierte, ging es in einem anderen Bereich des Lebens rapide bergab. Das Positive gerade war eindeutig die Annäherung an meine Mutter. So ein Gespräch wie heute hatten wir noch nie geführt. Das Negative waren eindeutig die Frauen. Bebe entfernte sich spürbar von mir, oder ich war einfach zu forsch gewesen. Aber war es wirklich so verkehrt, mit seiner Freundin unter einem Dach leben zu wollen? Ich wusste ja, dass sie die Verantwortung für ein gemeinsames Kind scheute, aber warum auch das Zusammenleben mit mir? Liebte sie mich nicht mehr? Zu allem Überfluss hatte sich Pauline in eine Person gewandelt, die ich nicht mehr erkannte. Sie telefonierte viel mit leiser Stimme, war oft aus, und die Kerle kamen ja sogar in unser Haus. Man könnte ja fast denken, dass ich eine komische Wirkung auf die Frauenwelt hatte.

 

Während ich so grübelte betrat auch Gernot das Fitnesscenter. Ich wusste, dass er oft hier war, um seine körperliche Fitness für seine Touren aufrecht zu erhalten.

Gernot nahm sich einen Drink und setzte sich zu mir. Wir tranken zuerst schweigend, doch dann fragte ich ihn:

"Na, trainierst du auch noch?"

"Hm", machte er nur und ich wusste beim besten Willen nicht, ob das nun zustimmend gemeint war oder nicht. Es entstand wieder eine Pause, bevor er dann sagte:

"Du wirst dich freuen, aber ich ziehe aus, sobald ich etwas gefunden habe"

"Du ziehst aus?", fragte ich, obwohl ich mir natürlich denken konnte, warum. Doch das wusste er ja nicht.

"Pauline hat sich von mir getrennt", sagte er dann. Hatte ich also recht gehabt.

"Warum?", wollte ich wissen, weil es mir vielleicht helfen konnte, sie im Moment besser zu verstehen.

"Keine Ahnung", meinte Gernot jedoch. "Sie hat nur gesagt, dass es mit uns nicht funktionieren kann. Ich vermute jedoch einen anderen Mann dahinter"

"So?", sagte ich knapp. 10 andere Männer traf es wohl besser, wenn ich ihren Verschleiß gerade sah.

"Na los, jetzt kannst du dich über mich lustig machen!", stichelte er.

"Quatsch", knurrte ich, "Ich trete keine Hunde, die am Boden liegen!". Wieder sagte keiner von uns was.

"Auf jeden Fall bist du mich los, sobald ich etwas Bezahlbares gefunden habe". Er trank dann schnell aus und ging in Richtung der Umkleiden davon. 

Am nächsten Tag traf ich zufällig Bebe in der Bibliothek, als ich mich durch Kochbücher wälzen wollte, damit ich in diesem Hobby besser wurde. Mir wurde bewusst, dass wir uns seit meinem Geburtstag nicht mehr gesehen oder gehört hatten. Sie war im Auftrag des Instituts hier, weil sie Informationen für ein Projekt, an dem sie mitarbeitete, sammeln sollte.

Wir redeten nicht lange miteinander und unsere Entfremdung war schon fast spürbar. Uns war wohl beiden klar, dass unsere Lebensziele zu unterschiedlich waren. Und obwohl wir es nicht direkt aussprachen, war ich mir sicher, dass sie es ebenso empfand wie ich. Sie hatte nicht viel Zeit und so verabschiedeten wir uns schon bald, und es klang wie ein Abschied für immer.

Am nächsten Tag hatte mich Mandy zu sich nach Hause eingeladen, weil sie etwas mit mir besprechen wollte.

Mandys Haus lag schon etwas außerhalb von Sunset Valley auf den Klippen gelegen. Die nächsten Nachbarn waren ein gutes Stück entfernt, aber die Aussicht von dort oben auf das Meer war wirklich wunderschön! Beim Anblick ihres Hauses verschlug es mir kurz den Atem, weil ich absolut nicht damit gerechnet hatte, vor einem modernen Bungalow zu stehen.

Ich klingelte und wartete, bis Mandy die Tür öffnete. Dabei dachte ich nach, was sie wohl mit mir besprechen wollte, ich hatte einfach keine Idee. Als sie mir öffnete, begrüßten wir uns und ich fragte sie, ob sie im Lotto gewonnen habe. Daraufhin lächelte sie und sagte:

"Nee, aber mein Chef war sehr großzügig, mir die Stelle hier schmackhaft zu machen. Außerdem haben meine Eltern auch noch etwas beigesteuert"

"Nicht schlecht!", staunte ich, und wir betraten Mandys Haus.

Auch drinnen sah alles sehr geschmackvoll und auch teuer aus.

"Setz dich doch schon, Gabriel. Ich bin mit dem Kochen noch nicht ganz fertig!", meinte sie, und ging zurück in die Küche. Doch ich sah mich noch etwas in dem großen Haus um.

Als das Essen fertig war, setzten wir uns und ich hoffte, dass sie bald den Grund aussprach, weshalb sie mich heute eingeladen hatte. Andererseits konnte ich natürlich auch einfach fragen.

"Was liegt dir denn nun auf dem Herzen?", fragte ich Mandy. Sie schmunzelte.

"Nun, ich wollte mich noch einmal für die Verwechslung wegen Bebe und Pauline entschuldigen", sagte sie dann. Ich war verwirrt. Deshalb hatte sie mich eingeladen?

"Aber Mandy!", protestierte ich "Das war doch überhaupt nicht schlimm! Schnee von gestern! Das haben wir doch schon geklärt! Ich meine, ich finde es toll, dass wir uns heute treffen und ein bißchen quatschen können, aber das sollte nun wirklich nicht der Grund sein, ja? Lass uns lieber auf unsere Freundschaft anstossen!", sagte ich und hob mein Weinglas. Mandy prostete mir zu, und nachdem wir beide getrunken hatten, sagte sie:

"Klar, auch ich finde es super, dass wir uns sehen können! Schmeckt dir eigentlich der Herbstsalat? So gut wie meine Oma bekomme ich ihn zwar nicht hin, aber sie hat mir mal gezeigt, wie sie ihn zubereitete, und seither versuche ich immer, ihn so gut zu machen wie sie einst."

"Er schmeckt fantastisch!", sagte ich und nahm mir demonstrativ noch einmal von dem leckeren Salat, der fast an Marias` hinkam. Es freute mich, dass Mandy noch wusste, dass ich Herbstsalat liebe. "Deine Leibspeise ist das aber nicht!", sagte ich grinsend, weil ich mich an ihr Gesicht erinnern konnte, das sie immer zog, wenn wir bei Maria gegessen hatten und es diesen Salat gegeben hatte. Mandy musste lachen.

"Na, zumindest mag ich ihn nun lieber als damals!", sagte sie.

"Du hast immer gern Marias Fruchtpastete mit Früchten aus ihrem Garten gegessen!", erinnerte ich mich.

"Stimmt, die vergötterte ich! Und auch heute esse ich das noch gerne, nur bekomme ich sie einfach nicht so gut hin wie Oma damals".

"Sie war etwas Besonderes", sagte ich und dachte an diese nette Frau, die ein fremdes Kind nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Herz gelassen hatte.

"Das ist richtig", meinte auch Mandy.

Nach dem Essen gingen wir in ihr Wohnzimmer und machten es uns da gemütlich.

"Gabriel, möchten du und Bebe eigentlich einmal heiraten?", fragte Mandy plötzlich aus heiterem Himmel. Ich erstarrte sofort. Das leidige Thema, nun von Mandy angesprochen.

"Entschuldigung, das geht mich ja nichts an!", sagte sie, als ich ihr die Antwort schuldig blieb.

"Zwischen Bebe und mir herrscht im Moment Funkstille", grummelte ich.

"Ach so?", fragte Mandy.

"Scheinbar habe ich sie mit Themen wie zusammenziehen und Kinder bekommen zu oft genervt und schließlich vergrault", sagte ich und wunderte mich, dass ich so mit Mandy darüber reden konnte.

"Ich verstehe", sagte Mandy und trank von ihrem Wein. Ich tat es ihr gleich, nur um irgendetwas zu tun. Meine gute Stimmung war wie weggeblasen.

"Du hättest sie gerne geheiratet?", fragte Mandy weiter. Ich war drauf und dran, mit >Ja< zu antworten, horchte dann aber nochmal in mich hinein. Bebe und ich waren lange zusammen gewesen, sie war meine 1. richtige Freundin gewesen. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen und ihre Unkompliziertheit hatte mich nach den strengen Regeln meiner Eltern sehr beeindruckt. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war es mir zu unkompliziert gewesen. Sie hatte sich nicht festlegen wollen, bei allen wichtigen Fragen des Lebens nicht. Sie konnte es sich nicht vorstellen, immer in ein und derselben Stadt zu leben, sie wollte frei und ungebunden sein und sie schreckte große Verantwortung ab. Deshalb war es auch genau an diesem Punkt gescheitert, als ich einen Schritt weitergehen wollte.

"Hm, ich habe es gedacht, dass ich es möchte", begann ich. "Aber jetzt, mit dem nötigen Abstand, weiß ich, dass es nicht funktioniert hätte. Bebe und ich haben sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Leben".

"Vielleicht ist es dann besser so. Sonst wärt ihr früher oder später wahrscheinlich unglücklich geworden, auch wenn es jetzt im Moment natürlich noch schmerzt". Ich nickte.

"Ja, da ist etwas dran", stimmte ich ihr zu. Schmerzte mich die "Pause" von Bebe? Natürlich war ich traurig darüber, dass unsere Beziehung nicht funktioniert hatte. Soetwas war wie eine Niederlage, und das mochte ja niemand. Man suchte nach Fehlern, die man gemacht hatte oder nach Dingen, die anders hätten laufen müssen. Aber wenn ich ehrlich zu mir selber war, gab es da noch etwas anderes. Etwas, das mich traurig stimmte und noch mehr schmerzte...

"Gabriel?", hörte ich wie von weitem die Stimme von Mandy.

"Ja?", fuhr ich zusammen und sah sie verwirrt an.

"Ich kenne dich schon ewig und ich sehe es dir an, dass du Sorgen hast. Möchtest du darüber reden?". Ich winkte ab.

"Es ist nichts. Ich hatte eine stressige Woche...", sagte ich, wurde aber von Mandy unterbrochen:

"...und bin müde. Das wolltest du doch sagen, oder? Ich bin Polizistin, schon vergessen? Ich rieche faule Ausreden gegen den Wind."

Ich blickte Mandy an. Sie war klug und pfiffig und nicht auf den Mund gefallen, war sie noch nie. Was sollte ich jetzt sagen? Sie wartete eine Weile, dann sagte sie:

"Es hat mit Pauline zu tun, oder?". Ich zuckte etwas zusammen, weil sie – mal wieder – so direkt war. Ich sprang vom Sofa auf, bereit, zu fliehen.

"Ich habe das ja schon bei unserem 1. Treffen bemerkt, deshalb kam es ja auch zu der ´Freundinnen-Verwechslung`. Es hat mich fast platt gemacht, als ich hörte, dass Bebe deine Freundin ist und nicht Pauline".

"Sie hat überhaupt kein Interesse an mir, was über das Freundschaftliche hinausgeht", sagte ich.

"Und woher willst du das so genau wissen?", fragte Mandy.

"Weil sie in den letzten Tagen einen Typen nach dem anderen anschleppt", knurrte ich.

"Tut sie das?", fragte sie.

"Ja, Mann!", sagte ich und regte mich schon wieder auf. Wieso machte Pauline das nur? Es passte überhaupt nicht zu ihr!

"Dann ist sie nicht mehr mit Gernot zusammen?"

"Nein, sie hat mit ihm Schluss gemacht. Vermutlich um für die anderen Lover frei zu sein", sagte ich und nahm einen großen Schluck aus meinem Weinglas.

"Du bist eifersüchtig, das ist es, oder?", stellte Mandy fest und ich fuhr zu ihr herum. "Leugnen ist zwecklos, mein Lieber. Als Polizistin ist es mein Job, der Wahrheit auf den Grund zu gehen". Es war wohl wirklich so, dass ich nicht leugnen brauchte.

"Du bist eine sehr gute Polizistin. Dein Chef kann stolz auf dich sein", sagte ich trocken, und setzte mich matt aufs Sofa zurück.

"Vielen Dank!", freute sich Mandy. Dann gab es eine kurze Gesprächspause, bevor Mandy fortfuhr:

"Liebst du sie?", fragte sie und blickte mich abwartend an. Auf diese Frage gab es wirklich nur eine Antwort.

"Ja". Ja, und wie ich Pauline liebte! Ich wollte mit ihr zusammen mein Leben verbringen, wollte mit ihr leben, so wie bis vor kurzem, bevor sie angefangen hatte, Männer zu verschlingen. Oder fast so. Denn ich sehnte mich danach, sie zu küssen. Das, was sie reihenweise anderen Männern gab, wollte ich allein von ihr bekommen. Mandy lächelte mich leicht an.

"Sie dich auch", sagte sie dann knapp.

"Was hast du in den letzten Minuten nicht mehr mitbekommen?", fragte ich sie und gab auf ihre Worte überhaupt nichts.

"Glaube mir, es ist so", ließ Mandy nicht locker.

"Und warum hatte sie in den letzten Tagen mehr Dates mit verschiedenen Männern als ich überhaupt Frauen kenne?", fragte ich provozierend. So, jetzt sollte mal der Supercop seine grauen Gehirnzellen anstrengen!

"Weil sie dich eifersüchtig machen möchte! Warum sonst?", sagte Mandy im Brustton der Überzeugung.

"Ach, sie möchte mich eifersüchtig machen?", sagte ich sarkastisch und lachte auf.

"So ist es. Du glaubst mir wohl nicht, oder?". Jetzt lachte ich richtig auf.

"Nein, das tue ich nicht! Alles spricht dagegen, ich hätte das doch irgendwie gemerkt, wenn da mehr Gefühle für mich von ihr aus im Spiel gewesen wären"

"Das merkt man als Beteiligter oft nicht, weil man überhaupt nicht damit rechnet. Aber ich bin eine Aussenstehende und habe euch zusammen gesehen. Ich könnte wetten, dass sie mehr für dich empfindet, als du weißt. Rede mit ihr, dann erfährst du es".

"Ich soll sie fragen, ob sie mich liebt?", fragte ich etwas erschrocken. "Ich kann doch nicht zu ihr hingehen und sagen: ´Du Pauline, kann es sein, dass du in mich verliebt bist?`. Lächerlich!"

"So natürlich nicht! Aber gib dir etwas mehr Mühe, und du wirst es erfahren"

"Um was wetten wir, dass dem nicht so ist?", forderte ich Mandy heraus.

"In der Liebe wettet man nie!", sagte Mandy lächelnd.

Den ganzen nächsten Tag schwirrte mir das Gespräch mit Mandy in meinem Kopf herum. Ich war mir eigentlich sicher, dass sie sich irrte und Pauline nicht das für mich empfand wie ich für sie. Doch ich wollte trotzdem mit ihr reden, und zwar über die Veränderung, die mit ihr passierte.

 

Also wartete ich abends auf sie. Sie war natürlich mal wieder unterwegs.

Als sie kam stand ich auf und fragte sie gleich:

"Pauline? Können wir reden?". Pauline sah mich etwas verwirrt an, sagte dann aber:

"Natürlich, das weißt du doch", und wartete darauf, dass ich begann. Ich atmete noch einmal tief ein und aus, dann sagte ich:

"Weißt du, ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll. Es ist mir auch etwas unangenehm, das mit dir zu besprechen, und doch muss ich es tun".

"Um was geht es denn?", fragte Pauline. Ich machte eine kurze Pause, in der wir uns intensiv ansahen, dann erklärte ich:

"Weißt du, ich bin verwirrt, seid du mit so vielen Männern ausgehst", sagte ich.

"Du bist verwirrt?", fragte sie mit großen Augen.

"Ja, denn so kenne ich dich gar nicht. Ich weiß ja, dass du, wie wohl jeder andere auch, gerne die Bestätigung bekommst, gut anzukommen, gern flirtest und auch gerne ausgehst. Das ist auch völlig in Ordnung, aber so, wie es im Moment ist, erkenne ich dich wirklich nicht mehr. Du bist zu einem männermordenden Vamp geworden, der reihenweise die Kerle abschleppt und sie dann wieder fallen lässt", sagte ich mit leicht bebender Stimme, weil mir das nicht leicht fiel. Pauline sagte zuerst nichts, sondern sah mich leicht geschockt an, bevor es aus ihr herausbrach:

"Was bitte? Ich soll zu einem Flittchen mutiert sein?"

"Nein! Das habe ich nicht gesagt!", sagte ich schnell.

"Aber soetwas ähnliches!", entrüstete sich Pauline, "Oder was meintest du sonst mit den Worten ´männermordender Vamp`, also bitte! Was denkst du dir dabei?"

"Das habe ich doch nicht so gemeint! Und das weißt du auch! Aber ich bin nicht blind, Line! Oder wie erklärst du dir diese ganzen Männerbekanntschaften, das Geknutsche und die vielen Dates, die du plötzlich hast? Ich kenne dich schon so lange, aber so wie jetzt hast du dich mir noch nie gezeigt! Und ich will nun eben wissen, ob das als Phase zu verstehen ist oder ob da ein Teil deiner Persönlichkeit zum Vorschein kommt, den ich bisher nicht kannte. Das darf ich ja wohl wissen, oder?"

"Würde es für dich etwa einen Unterschied machen, wenn das nun zu mir gehören würde? Was würdest du dann machen, Gabe? Was ist so schlimm daran, wenn ich mich amüsiere?". Ich starrte sie an, und sie starrte zurück, während sie auf meine Antwort wartete.

Und dann brach es aus mir heraus:

"Es macht mich verrückt, dich mit diesen anderen Männern zu sehen, verstehst du? Ich habe diese Bilder im Kopf, was du mit ihnen machen könntest! Eure Küsse, eure Umarmungen und noch mehr. Diese Gedanken machen mich wahnsinnig!"

 

"Das macht dich wahnsinnig?", fragte Pauline. "Warum? DU hast doch Bebe! DU planst doch schon im Kopf eure Hochzeit samt Kinder! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du mit ihr ein Haus suchst und dann ausziehst! Und weißt du was? Das macht mich verrückt! Eure heile Welt zu sehen, zu wissen, dass du fest vergeben bist!". Sie machte eine kurze Pause, dann sprach sie weiter:

"Verstehst du denn nicht, Gabe? Ich liebe dich!".

 

Die Worte hallten von den Wänden wider, drehten sich im Kreis, erreichten meine Ohren, mein Gehirn, und langsam begann ich zu realisieren, was sie gesagt hatte. Sie sah sehr verletzlich aus in diesem Moment, erschrocken über ihren eigenen Ausbruch. Und obwohl seit ihren Worten nur eine Sekunde verstrichen war, kam es mir wie eine Ewigkeit vor, weil plötzlich alles so klar war.

 

Und dann stürzte ich auf sie zu und küsste sie.

Es war ein wundervoller, sehr zärtlicher Kuss. Wir kannten uns schon so lange und waren uns doch noch nie so nah gewesen. Pures Glück strömte durch meine Adern. 

 

"Gabe", flüsterte sie zärtlich an meinem Ohr und schmiegte sich an mich, bevor sie mich ansah.

"Du hast doch Bebe! Das hätten wir nicht tun dürfen!"

"Süße! Zwischen Bebe und mir stimmt es schon eine Weile nicht mehr und ich liebe sie auch nicht mehr. Ich werde das schon bald regeln, vertrau mir", sagte ich und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Pauline sah mich forschend an.

"Willst du das denn wirklich?", fragte sie unsicher.

 

"Ja, das will ich wirklich!", versicherte ich ihr. "Denn ich liebe dich ebenfalls!".

"Tatsächlich?", fragte sie und lächelte mich an. Dieses bezaubernde Lächeln, bei dem ich nun weiche Knie bekam. Ich nickte nur und küsste sie wieder. Diesmal war es ein leidenschaftlicher Kuss, bei dem wir begannen, uns zu streicheln.

Ganz automatisch waren wir ins Schlafzimmer gewechselt. Ich legte Pauline sanft auf mein - unser! - Bett und wir küssten uns fordernder. Sie war mir vertraut und doch nicht, es war eine aufregende Mischung.

 

Pauline und ich erlebten eine fantastische, gemeinsame Nacht und schliefen danach völlig erschöpft ein.

Als wir am nächsten Tag erwachten, war der Morgen schon fast vorbei. Ich brauchte eine Weile bis ich wusste, dass die Ereignisse des vergangenen Abends und vor allem der vergangenen Nacht kein Traum waren.

Den ganzen Tag über schwebten wir wie auf Wolken. Das begann beim gemeinsamen Frühstück, das wegen der Uhrzeit schon eher ein Brunch war, wo wir uns gegenseitig das Essen in den Mund schoben. Führte über die Gespräche, die wir in unserem Bett führten und viel davon handelten, auf was für einem verrückten Weg wir zwei zusammengefunden hatten. Und endete schließlich nach einem fast unberührten Mittagessen im Schlafzimmer, als wir die Ereignisse der letzten Nacht noch einmal wiederholten.

 

Und nach diesem Tag kam es mir vor, als wäre es immer so gewesen. Es stimmte einfach alles, so war es richtig und gut.

 

Und doch schwebte die Frage im Raum, wie wohl Gernot darauf reagieren würde. Und ich wollte noch mit Bebe reden, denn auch sie sollte es wissen.

 

Und ich sollte nicht vergessen, Mandy zu einem wirklich fantastischen Abendessen einzuladen.

 

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