Das Geld liegt auf der Strasse

Es war wohl wirklich so: Wenn es einem gut ging, dann passierte mit Sicherheit irgendetwas, das einen ganz schnell wieder von dem Höhenflug runterholte. Ich war die letzten Tage einfach glücklich gewesen, doch die Wirtschaftslage in Sunset Valley verschlechterte sich spürbar. Das ganze Land steckte in einer Wirtschaftskrise.

 

Unseren Haushalt betraf es noch nicht so sehr, denn ich hatte mit meinem Bericht über den Zasterus Klunkerikus noch genug zu tun, Paulines Platz im Theaterorchester war ebenfalls recht sicher, denn ihr Engagement lief noch mehr als 3 Monate. Zu dem hatte sie sehr gute Aussichten, die Dirigentenstelle zu bekommen, wenn ihr derzeitiger Dirigent in den Ruhestand ging. Ich selbst verdiente mit meinem Gemüse für den Lebensmittelladen zusätzlich gutes Geld und hoffte natürlich, das dies auch so blieb. So gesehen, kamen Pauline und ich mit einem blauen Auge davon.

 

Doch wir wollten vorsorgen. Unsere Ersparnisse sollten so gut es ging angelegt werden, damit wir ein "Polster" für schlechtere Zeiten hatten. Leider kannten wir uns beide in diesen Dingen nicht so gut aus, also holten wir uns einen Experten, den uns mein Chef und Freund Gobias empfohlen hatte. Also begrüßten wir an einem schönen Nachmittag den Finanzberater Walter Sommers bei uns.

Der Mann sah genauso aus, wie man sich jemandem im Geldbusiness vorstellte, doch er schien nett zu sein.

Er besah sich genau unseren Grund und Boden und ließ sich unsere Vermögensverhältnisse aufzeigen, was mich etwas Überwindung kostete. Schließlich war Geld ein Thema, über das man normalerweise schwieg, und wir mussten einem fremden Mann unsere Sparkonten zeigen.

 

Doch Walter Sommers war professionell, schrieb sich alles auf, was er wissen musste, und erklärte uns die Möglichkeiten, die wir hatten.

"Sie sagten, dass sie Eigentümer dieses Hauses sind?", fragte Herr Sommers.

"Ja, das Haus gehört uns", antwortete ich.

"Das ist sehr gut", sagte Herr Sommers. "Die beste Anlagemöglichkeit ist immer noch eine eigene Immobilie. Wenn man als Rentner keine Miete zu bezahlen hat, erleichtert das Vieles. Deshalb würde ich ihnen vorschlagen, das sie ihr Haus ausbauen. Jetzt haben sie hier nur ein Schlafzimmer, ein Bad und den Wohn-/Essbereich. Schon mit einem zusätzlichen Zimmer würde sich der Wert des Hauses etwa um 25 % steigern". Soviel? Ich war erstaunt!

"Tatsächlich?", fragte ich dann nochmal nach.

"Ja, genau müsste man es natürlich von einem Gutachter nach den Umbaumassnahmen schätzen lassen, aber nach meiner Erfahrung können sie mit soviel rechnen. Ich stelle ihnen einen Vermögensplan zusammen, rechne ihnen das alles aus, und wenn ich soweit bin melde ich mich wieder bei ihnen, dann können wir uns die Papiere in meinem Büro ansehen".

 

Pauline und ich beratschlagten uns, nachdem Herr Sommers wieder gegangen war. Es hörte sich ziemlich gut an und uns gefiel die Vorstellung, unser Haus zu vergrößern.

In seinem Büro erklärte uns Walter Sommers nocheinmal alles ganz genau, als er unseren Vermögensplan fertig hatte. Pauline und ich standen gar nichtmal so schlecht da.

Wir brauchten uns nur anzusehen um zu wissen, dass wir beide mit einem Anbau einverstanden waren.

Für den Restbetrag, der vom Umbau übrig bleiben würde, empfahl er uns einen staatlichen Sparbrief, der jederzeit kündbar war und dafür noch recht hohe Zinsen abwarf.

 

Mit einem guten Gefühl verließen wir das Büro von dem Finanzberater.

 

Und setzten alle Hebel in Bewegung, damit unser Umbau beginnen konnte.

Unser Haus vor dem Umbau. Im Sonnenaufgang.

Und so sieht es nun aus.

 

Wir haben rechts vom Eingang zwei Zimmer anbauen lassen, das vordere mit einem großen Erkerfenster. Dieses Zimmer soll ein Gästezimmer sein, ich dachte da etwa an Bebe, oder auch wenn jemand von Paulines Verwandtschaft aus China anreisen möchte. Sie sagte zwar immer, dass "ihre Leute" viel zu sehr Angst vor dem Fliegen hatten, als das dies passieren konnte, aber man wusste ja nie. Dahinter befand sich nun ein kleines, aber feines Arbeitszimmer mit dem Bücherregal. Nach dem Eingang haben wir links eine Wand ziehen lassen, um darin ein zweites Bad unterzubringen. In unserem alten Bad haben wir neue Fussbodenfließen legen lassen. Außerdem wurde das Haus außen komplett neu gestrichen und erstrahlte nun in einem freundlichen Gelb. Das Endergebnis gefiel uns sehr gut, auch wenn wir nun nur noch 459 § auf dem Konto hatten. Es hatte sich gelohnt, denn wir fühlten uns sofort sehr wohl in unseren vier Wänden.

Aber -

 

wie ich ja schon sagte: Sobald es einem nur ein bißchen gut geht, bekommt man gleich den nächsten Schock verpasst.

 

Pauline kam, kurz nachdem der Umbau fertiggestellt war, zu mir, und erzählte mir, dass sie sich mittags mit Gernot Lutzenbacher im Park getroffen hatte. Schon bei Erwähnung dieses Namens verfinsterte sich mein Gemüt mit dunklen Wolken. Aber es kam noch schlimmer.

"Gabe, du kannst es dir nicht vorstellen!", sagte sie und benutzte den Spitznamen, den ich von ihr vor ein paar Tagen verpasst bekommen hatte. Ich hatte sie daraufhin neckend einfach "Line" genannt, was eine wilde Jagd durch unseren Garten heraufbeschworen hatte. Doch seither benutzten wir die Spitznamen immer wieder automatisch.

"Hmpf", brummelte ich nur und wollte eigentlich gar nicht so genau wissen, was diese Knalltüte von sich gegeben hatte.

"Wir waren noch keine 5 Minuten im Park, als schon seine ganze Familie ebenfalls dort aufgetaucht ist!"

"Gut, dass ich dann heute mittag nicht auch dort war!", sagte ich.

"Oh, Gabriel!", sagte Pauline streng, "Jetzt hör mir doch mal zu! Gernot hat erzählt, dass das ständig so ist. Sie kontrollieren ihn und lassen ihm überhaupt keine Luft zum Atmen. Er glaubt, dass sie es ihm einfach nicht zutrauen, dass er erwachsene Entscheidungen selbst treffen kann. Er ist sehr unglücklich". Okay, und was hatte das jetzt mit mir zu tun?

 

"Worauf willst du jetzt hinaus?", fragte ich sie und musste feststellen, dass ihr das Gespräch wohl nicht so leicht fiel, denn sie nagte an ihrer Unterlippe, was sie immer tat, wenn sie nervös war.

"Naja, er hat mich um etwas gebeten, worüber ich auch mit dir reden muss", sagte sie ausweichend.

"Genau deshalb stehen wir hier in unserer Nachtwäsche herum anstatt zu schlafen!", antwortete ich. "Also raus mit der Sprache: Um was hat er dich gebeten?". Sie antwortete nicht sofort, was mir zeigte, wie schwer das für sie war.

"Also?", ermunterte ich sie.

"Er würde gerne zu uns ziehen", sagte Pauline so leise, dass ich sie kaum verstand.

"Wie bitte???", fragte ich sie, und meine Stimme war ganz und gar nicht leise. Schock!

"Gabriel, du weißt doch selbst, wie das ist, oder?", fragte sie dann. Ich schluckte. Und wie ich das wusste. Pauline war über meine Familie und den Grund für meine überstürzte Flucht im Bilde. Doch ich fing mich schnell wieder.

"Ja, ich weiß wie das ist. Aber du weißt auch, dass Gernot und ich uns nicht riechen können. Es gibt praktisch niemanden, den ich weniger gern in mein Haus einziehen lassen würde wie ein Mitglied dieser Familie."

"Ich weiß, aber ihr könntet euch doch aus dem Weg gehen, oder?"

"Warum sollte ich mich in meinem eigenen Haus verdrücken, sobald er das Haus betritt?"

"Bitte, Gabe! Es wäre ja auch nur vorübergehend! Es sind harte Zeiten und so leicht findet er jetzt nichts Brauchbares und Bezahlbares dort draußen!"

"Warum ist dir das eigentlich so wichtig?", forschte ich nach und ahnte natürlich die Antwort schon. Sie wurde rot, was mich in meinem Verdacht bestätigte.

"Ja, kuck nicht so!", sagte sie. "Ich mag ihn, okay? Zufrieden?". So konnte man das zwar nicht nennen, weil ich es absolut nicht verstand, was Pauline an dem Deppen von Gernot fand. Aber ich hatte mich schonmal danebenbenommen, was dies betraf, also schluckte ich jetzt jeden bösen Kommentar hinunter.

"Es ist dir echt wichtig", stellte ich fest.

"Ja, ich hätte ihn gerne hier!". Sie sah mich mit ihren dunklen Augen an, und ich konnte nichts mehr dagegen sagen. Dafür war sie mir viel zu wichtig.

"In Ordnung, wir können es ja versuchen", sagte ich und konnte fast selbst nicht glauben, was ich da sagte.

Pauline strahlte mich an und umarmte mich fest. Als sie sich wieder von mir gelöst hatte, sagte ich:

"Aber es gibt Bedingungen!"

"Das habe ich mir schon gedacht", meinte Pauline.

"Ich möchte ihn nichtmal in der Nähe meines Gartens sehen! Das muss er einhalten, sonst fliegt er wieder raus!"

"Kein Problem. Er gärtnert eh nicht gerne", sagte Pauline.

"Ich bleibe in meinem Bett und ziehe nicht ins Gästezimmer um", stellte ich klar. Pauline schien über diese Bedingung nachzudenken, doch dann nickte sie.

"Okay, das verstehe ich. Obwohl es schon seltsam ist dass er dann im Gästezimmer liegt, während ich...", sie ließ den Satz offen, doch ich wusste natürlich, was sie sagen wollte. Sie dachte noch kurz nach, bevor sie fragte:

"Gibt es sonst noch etwas?".

"Wie will er sich eigentlich an der Haushaltskasse beteiligen? Durchfüttern werde ich ihn nämlich nicht!". Das hätte er wohl gern, was? Aber das konnte er sich abschreiben!

"Gernot sammelt Steine", antwortete Pauline. "Also, die wertvollen natürlich. Er kennt sich sehr gut aus und findet die ungewöhnlichsten Sachen wie Meteoritensteine, Edelsteine oder Metalle. Er schickt die dann an Schmieden und wissenschaftliche Institute und bekommt dann Geld dafür. Und, soweit ich weiß, nichtmal wenig. Ich meine, er findet schließlich auch Gold, Saphire und soetwas". Jetzt war ich sprachlos. Gernot Lutzenbacher war soetwas wie ein Goldschürfer? Das klang nach Abenteuer, Dagobert Duck und Goldrausch. Kein Wunder war Pauline fasziniert.

"War sonst noch etwas?", wollte Pauline wissen, doch ich verneinte. Und hoffte, dass das gut gehen würde.

Gleich am nächsten Tag lud Pauline Gernot zu uns ein und erklärte ihm meine Bedingungen. Ich hatte die leise Hoffnung gehegt, dass diese ihm nicht gefielen und er deshalb erst gar nicht einzog, doch er war hocherfreut, dass wir ihn zu uns aufnahmen.

Noch an diesem Tag zog also Gernot Lutzenbacher zu uns ein.

 

Und ich besorgte mir eine Familienflasche Baldriantropfen.

Als ich von der Arbeit nach Hause kam wunderte ich mich zuerst über den Typen in unserem Garten bis ich bemerkte, dass dies Gernot war. Er hatte sich in Schale geworfen, seine Haare anders frisiert als sonst und sich sogar einen modischen Bart wachsen lassen.

 

Oder er hatte irgendwo eine Typberatung gewonnen, wer wusste das schon.

Aber er sammelte wirklich die unterschiedlichsten Steinarten. Und sogar mit Erfolg, denn unsere Haushaltskasse füllte sich recht schnell an. Oft nahm er auf seinen Streifzügen auch Pauline mit, natürlich. Sie erzählte mir von den ungewöhnlichen Funden, die Gernot in der Natur aufstöberte.

 

Mir fiel daraufhin ein, dass unser Institut auch viel mit Insekten forschte und fragte sie, ob sie nicht Interesse hätte, bei ihren Wanderungen durch die Natur nach Schmetterlingen und Käfern Ausschau zu halten, denn wir bezahlten ziemlich gut für die Insekten. Sie war wirklich Feuer und Flamme und versprach, die Augen offen zu halten.

Ich selbst steckte meinen Ehrgeiz in meinen Garten. Und ich wurde immer besser. Die Forschungsarbeit zum Zasterus Klunkerikus war fast fertig und ich hatte neben dieser auch schon andere, ziemlich seltene Gewächse in meinem kleinen Reich stehen. Eine Flammenfrucht zum Beispiel, die sogar genießbar war, oder auch ein Pflanze, deren Früchte wohl das Leben verlängern konnten.

 

Außerdem hatte ich davon gelesen, dass es manchen Wissenschaftlern gelungen war, Käse und Eier zu kultivieren, war denn das die Möglichkeit? Diese Erkenntnisse wurden gerade an Fleischprodukten getestet. Mein gewöhnlicheres Obst und Gemüse war so gesund und prächtig wie noch nie und konnte fast schon als perfekt bezeichnet werden.

Auch Pauline hatte sich eine neue Frisur zugelegt und ich überlegte, an was das wohl liegen mochte. Sie hatte in ein paar Tagen Geburtstag, ob es damit zusammenhing? Oder doch eher an "Jemandem"? Ich konnte es mir natürlich denken, denn seltsamerweise hatte ja genau dieser "Jemand" seinen Typ ebenfalls vor kurzem verändert. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Pauline und Gernot. Diese beiden Puzzleteile wollten sich in meinem Inneren einfach nicht zusammenfügen, und ich wusste nichteinmal genau, warum.

Als Pauline im wissenschaftlichen Institut mit einem Exemplar dieser Schmetterlingsgattung auftauchte, flippten die Kollegen in der Insektenabteilung fast aus. Ein Regenbogenschmetterling. Der war ungefähr so selten wie mein Zasterus Klunkerikus und eine Bereicherung für die Wissenschaftler. Sie gaben Pauline und somit unserer Haushaltskasse eine großzügige Spende von über 1400 §!

Um Gernot möglichst aus dem Weg zu gehen, hatte ich mir eine gebrauchte Angel zugelegt und begonnen, in dem Teich im Stadtpark zu angeln. Frischer Fisch ist nicht nur für Menschen gut, er ist auch ein fabelhafter Dünger.

Mein 1. Fang!

 

Ích musste zwar höllisch aufpassen, dass ich dieses winzige Fischlein nicht einfach zwischen meinen Fingern zerquetschte, aber ich war trotzdem stolz. Mit ein bißchen mehr Erfahrung würden die Fische sicher bald größer werden.

 

Beim Angeln konnte man auch so herrlich abschalten. Oder nach Lösungen für Probleme suchen. Ich hatte dabei Zeit gefunden, über die Situation mit meinen Eltern nachzudenken und war zu dem Schluss gekommen, dass ich sie anrufen und ihnen mitteilen werde, dass ich sie besuchen kommen würde, weil ich etwas mit ihnen besprechen müsste. Es wurde Zeit, klaren Tisch zu machen.

 

Ich wollte mir nichtmal ausmalen, wie sie wohl reagieren würden, denn sonst verließ mich wohl wieder der Mut. Aber ich musste da durch und irgendwie würde es schon gehen.

Ich rief also in meinem Elternhaus an. Meine Mutter, die am Telefon war, war zwar anfangs überhaupt nicht begeistert, dass ich zu ihnen kommen würde anstatt sie zu mir, denn dann würde sie das Wohnheim und die Uni ja immer noch nicht zu Gesicht bekommen, wo ich nun untergebracht war, wie sie glaubte.

"Mutter, es ist sehr wichtig, und ich muss dazu zu euch kommen", erklärte ich und gab meiner Stimme einen festen Klang.

"In Ordnung", gab sie sich geschlagen und wir legten als Termin das übernächste Wochenende fest. Am kommenden Wochenende hatte ich keine Zeit, denn da feierte Pauline ihren Geburtstag.

Beflügelt durch meinen Mut lud ich Bebe zu uns ein.

Hmmh, diese Frau brachte immer wieder mein Herz zum Klopfen. Sie war so sanft. Und das trotz der etwas schwierigen Eltern, die sie angeblich hatte. Ich selbst hatte sie leider noch nicht kennenlernen können, weil sie sehr scheu waren, man sah sie auch nie in der Stadt. Die Leute tratschten, dass beide verrückt sein sollen. Ich konnte mir das nur schwer vorstellen, bei dieser Tochter! Bebe selbst nannte das Überforderung und gelegentliche Verwirrtheit und ließ kein schlechtes Haar an ihren Eltern, denn sie wusste, dass sie ihr Bestes gegeben hatten. Was man von meinen nicht ganz sagen konnte, denn sie haben mich einfach nur bevormundet, ohne auf mich und meine Gefühle Rücksicht zu nehmen.

 

Und während ich mit Bebe vor unserem Haus schmuste, kamen mir Erinnerungsfetzen in den Kopf.

An einen Vater zum Beispiel, dessen Ehrgeiz, aus seinem Sohn den besten Schüler/Sportler/Student/Geschäftsführer zu machen, so groß war, dass er mir nichtmal zuhörte, wenn ich ihm etwas davon erzählte, was mir am Herzen lag. Das war für ihn alles Humbug. Mit Freunden treffen? Da kam man nur auf dumme Gedanken. In der Theater-AG mitwirken? Eine AG kostete zuviel Zeit, die man mit lernen besser füllen konnte. Ein Instrument spielen? Den Krach wollte er nicht im Haus haben, soweit käme es noch!

Oder an eine Mutter, bei der ich bis heute das Gefühl habe, dass es für sie besser gewesen wäre, wenn sie kein Kind bekommen hätte. Ich war ihr schlicht im Weg. Sie ist eine Karrierefrau, wollte schon immer die Firma zu dem führenden Unternehmen in diesem Sektor machen und war dafür bereit, viele Stunden dafür jeden Tag, auch am Wochenende, zu arbeiten. Während mein Vater für die internen Belange zuständig ist, ist es meine Mutter, die auf Messen geht, neue Kunden an Land zieht und das Marketing unter sich hat. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, erwünscht zu sein.

 

Für ein Kind die Höchststrafe.

Ich erinnerte mich an die vielen, schmerzhaften Stunden, die ich allein unter irgendwelchen Büschen oder Bäumen saß. Es war tröstlich für mich, und ich schätzte, dass ich so die Liebe zur Natur entdeckte.

Und dann flashte noch ein Bild in meinen Kopf. Von der Frau, die mich wahrscheinlich gerettet hat. Maria Ehlers, die Mutter des Assistenten meines Vaters. Sie hat auf mich aufgepasst, wenn meine Eltern wichtige Termine hatten und mein Kindermädchen ihren freien Tag hatte.

 

Maria war Witwe und lebte in einem kleinen Haus mit einem Gemüsegarten. Während ich ihr anfangs nur zuschaute, erklärte sie mir, wie man einen Garten pflegte. So lernte ich schon einiges nur vom Hören und Sehen.

Ich machte bei ihr Hausaufgaben, während sie den leckersten Herbstsalat zubereitete, den man sich vorstellen kann.

 

Als ich größer wurde, half ich ihr im Garten und konnte endlich selbst etwas tun. Noch später übernahm ich die Gartenarbeit, während sie mich mit Geschichten unterhielt oder das Essen vorbereitete. Maria war meine einzige Freundin, kein Kind wollte mit mir befreundet sein, weil ich ja nie Zeit hatte oder mich nicht treffen durfte.

 

Anfangs wollte ich meinen Eltern noch stolz davon erzählen, dass ich Gemüse gepflanzt hatte, doch sie interessierten sich nicht dafür. Stattdessen kamen die Fragen nach der Schule - natürlich eine Jungenprivatschule - und meinem Leichtathletiktraining. Ich hasste Sport! Aber vor allem mein Vater bestand darauf, dass sein Sohn seine Muskeln trainierte.

 

Maria starb, als ich 16 Jahre alt war.

 

All das ging mir nun also durch den Kopf. Saß mir die Angst vor einem Treffen mit meinen Eltern so sehr im Nacken? Ich versuchte, diese ganzen Gedanken zu verscheuchen.

Als sich Bebe verabschiedet hatte und ich selbst reif für das Bett war, ging ich wieder ins Haus und fand Pauline und Gernot in diesem Aufzug tanzend vor.

 

Okaaay!

 

Da war wohl etwas im Busch, und ich wusste immer noch nicht, wie ich das finden sollte.

Am nächsten Tag erwartete mich eine Überraschung: Bebe war meine Kollegin geworden! Natürlich hatte sie dies schon am vorigen Abend gewusst, wollte aber nichts sagen, weil sie mein überraschtes Gesicht sehen wollte. Diese Überraschung war ihr gelungen!

 

Sie war nun als Testerin angestellt und hatte damit meinen alten Job bekommen.

Nach der Arbeit traf ich mich mal wieder auf privater Ebene mit Gobias. Während es mir noch zum Umziehen gereicht hatte, hetzte er geradewegs vom Institut zum Fitnessstudio, wo wir ein paar Bahnen schwimmen wollten. Doch zuerst fachsimpelten wir über die Wetterlage, die Form der Wolken und wann folglich mit einem Wetterumschwung zu rechnen sei.

 

Ein beliebtes Thema unter Wissenschaftlern.

Pauline, Gernot und ich wurden in unseren Hobbys immer besser.

 

Pauline fand die ungewöhnlichsten Insekten, so als hätte sie einen Riecher dafür, wo die Tiere versteckt waren.

Die Fische, die ich an Land zog, wurden immer größer und schwerer. Und außerdem hatte ich gelernt, wie man Käse und Eier anpflanzen konnte. Es war unglaublich! Es stimmte tatsächlich! Und ich war natürlich ganz besonders auf die erste Ernte meiner Käse- und Eierpflanzen gespannt.

Und auch Gernot nahm - und das musste ich ihm lassen - viel in Kauf, um an die außergewöhnlichsten Steine zu kommen, und das sehr erfolgreich. Er brachte Steine nach Hause, von deren Existenz ich bisher noch nicht einmal etwas gewusst hatte.

 

Außerdem klappte es ganz gut mit dem "aus dem Weg gehen". Wir sahen uns ziemlich selten, was wohl auch besser war. Da er aber ein pflegeleichter Mitbewohner war, der seinen Dreck aufräumte, Dinge reparieren konnte und den Kühlschrank füllte, konnte ich ihn eigentlich nicht mehr zu meinen Erzfeinden zählen. Er war mir gleichgültig, das schon, aber schon Pauline zuliebe hatten Gernot und ich unsere Streitereien beigelegt. So lebte es sich besser zusammen, als ich anfangs befürchtet hatte.

Und dann rückte er immer näher: Paulines großer Tag! Während sie und ich das Menü für ihre Gäste besprachen, das ich kochen sollte, machte Gernot unser Haus sauber, nicht ohne die Augen von uns zu lassen. Trottel! Wie wenn ich meine Finger nicht von Pauline lassen könnte!

Dann war es soweit: Paulines Party stand an!

 

Ihr erster Gast traf schon ein, als ich noch nichteinmal umgezogen war. Pauline hatte sich formellere Kleidung zu ihrem freudigen Anlass gewünscht. Jamie Jolina war der erste Gast, und hatte ihre Tochter auf dem Arm! Ich hatte sie schon solange nicht mehr gesehen, und jetzt stand sie da und hatte ein Kind!

"Jamie!", rief ich freudig aus, "Lass dir gratulieren!". Ich drückte sie und fragte dann:

"Wer ist denn der Vater?". Jamie wurde verlegen.

"Sag mal noch nichts Pauline, ja? Ich möchte ihr das selbst sagen!", sicherte sie sich zuerst ab. Und nachdem ich genickte hatte, fuhr sie fort:

"Hank ist der Vater". Uff, das saß! Jamie war Paulines beste Freundin, und diese hatte sich jetzt in den Ex-Freund von Pauline verliebt? Ich hoffte, dass Pauline damit kein Problem hatte, obwohl ich mir schon vorstellen konnte, dass sie diese Information gerne früher bekommen hätte. Jetzt hatten die beiden ein Kind und Pauline wurde praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt.

Pauline sah auch an ihrem großen Tag wieder fantastisch aus! Ich hatte keine Ahnung, wie sie das immer schaffte, so gut auszusehen!

 

Hank war ebenfalls auf der Party erschienen, doch ich wusste leider nicht, ob er mit Jamie gekommen war oder ob Pauline ihn eingeladen hatte. Die beiden redeten eine ganze Weile miteinander und es sah so aus, als wenn sich ihre Beziehung wenigstens dahin entwickeln würde, dass sie ganz normal miteinander reden konnten. Das war mehr, als man erwartet hatte.

Line hatte für mich auch Bebe eingeladen, und so stand sie hübsch und süß vor unserem Haus. Wir nahmen uns noch ein paar Minuten für uns, bevor der Trubel richtig losgehen würde.

"Du siehst gut aus!", sagte Bebe und ließ ihren Blick über meinen Anzug schweifen, den ich noch von meiner Abifeier hatte. Ich grinste sie an.

"Danke, du auch! Und so sieht man mich nicht gerade oft oder?" antwortete ich und ließ meine Hand über meinen Anzug gleiten. Bebe lächelte mich an und schüttelte den Kopf:

"Nee, aber es steht dir!"

"Soll das heißen, dass ich ruhig öfter einen Anzug tragen sollte? Da muss ich dich enttäuschen, aber ich werde sowas nur tragen, wenn es verlangt wird". Bebe stupste mich an.

"Du gefällst mir doch immer!", flüsterte sie mir ins Ohr und ein Schauder lief über meinen Rücken. Hm, der Abend begann vielversprechend!

So langsam fanden sich auch die anderen Gäste ein und Gernot und ich unterstützten Pauline als Gastgeber. Bebe ging schon bald ins Haus, wo Musik lief und das Essen aufgebaut war.

Auch ich begab mich ins Innere, um zu sehen, ob dort meine Hilfe benötigt wurde. Doch im Moment gab es nichts zu tun, also tanzte ich mit Gobias.

Während hinter mir die Party in vollem Gang war, wurde ich Zeuge dieses Geschehens, dass sich in unserer Küche abspielte.

 

Ich hatte es doch geahnt.

Während ich den Blick nicht von Pauline und Gernot lösen konnte, schwirrten mir die unterschiedlichsten Dinge durch den Kopf. Passierte das hier einfach aus der Feierlaune? Oder hatten sie sich ernsthaft verliebt? Ich vermutete letzteres, weil es sich in den letzten Tagen ja schon angedeutet hatte.

 

Pauline war meine beste Freundin und wer sonst als ich gönnte ihr Glück von Herzen.

 

Warum also konnte ich mich nicht für sie freuen?

Später am Abend - sehr viel später - grübelte ich nicht mehr über das Pärchen Pauline-Gernot nach.

 

Sowohl Bebe als auch ich hatten wie die Weltmeister zusammen gefeiert, sie hatte es in kurzer Zeit geschafft, mich von den Grübeleien abzulenken.

 

Wir verzogen uns in das Schlafzimmer, wo wir uns auf das Bett sinken ließen. Bebe begann schon bald, mich auszuziehen, und Nervosität machte sich in mir breit. Der Weg, wohin das führen würde, war offensichtlich, und damit steuerte ich auf mein 1. Mal zu.

Wir sahen uns tief in die Augen mit einer Frage im Blick, die eigentlich nicht mehr gestellt werden musste.

"Du bist nervös", stellte Bebe leise fest und küsste mich.

"Ja", sagte ich rau. Lügen wäre zwecklos gewesen, obwohl ich hier liebend gern den erfahrenen Liebhaber markiert hätte.

"Warum?", wollte sie wissen und ich schluckte. Doch nicht diese Frage in diesem Moment! Ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte.

"Weißt du... ich habe... also...", stammelte ich und hörte mich wie ein Idiot an. Doch sie verstand.

"Das hier ist dein 1. Mal?", fragte Bebe verwundert und ich nickte. Sie schien mehr als überrascht zu sein, verständlich, wenn man bedachte, wie alt ich schon war. Sie blickte mich noch einen Moment an, dann sagte sie:

"Keine Angst, Liebling! Lass dich einfach von deinen Gefühlen leiten!", dann gab sie mir wieder einen leidenschaftlichen Kuss.

 

Und ich erlebte eine fabelhafte Nacht.

Am nächsten Morgen hatten Bebe und ich einen Bärenhunger, also machten wir uns ein Frühstück. Pauline war ebenfalls schon auf und blickte verdattert auf Bebe und ihre leichte Bekleidung.

 

Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil Bebe und ich Paulines Bett belagert hatten, doch im Eifer des gestrigen Abends hatte ich daran nicht mehr gedacht. Wo sie wohl geschlafen hatte? Ich vermutete, dass sie zu Gernot ins Bett geschlüpft war, auch wenn das ein Einzelbett war. Vielleicht war es ihr sogar ganz gelegen gekommen, dass ihres belegt gewesen war.

 

Ob sie und Gernot wohl auch...? Nun, was ging es mich an.

Ich konnte meinen Blick nicht von Bebe lösen. Pauline verzog sich schon bald ins Bad und ich hörte, wie sie die Dusche anschmiss.

 

Bebe und ich frühstückten gemütlich, küssten uns immer wieder und redeten über die gestrige Party.

"Hast du das süße Baby von Jamie Jolina auch gesehen?", fragte ich Bebe. Ich war immer noch entzückt! Die Kleine hatte eine Saite in mir zum Klingen gebracht, von der ich bisher noch nicht einmal gewusst hatte, dass ich sie besaß.

"Ja, habe ich. Wirklich niedlich", sagte Bebe kauend. Wir aßen einige Sekunden schweigend, bevor ich sie fragte:

"Kommt soetwas auch in deiner Lebensplanung vor?". Unschuldig aß ich weiter, weil ich nicht wollte, dass sie merkte, wie wichtig mir die Frage war. Jamie und ihre Tochter hatten jedoch gezeigt, dass auch ich irgendwann eine eigene Familie wollte. Vielleicht, weil ich es besser machen wollte als meine Eltern. Bebes Antwort kam prompt:

"Nein", sagte sie knapp. Ich war perplex.

"Nein?", hakte ich nach.

"Nein", bestätigte Bebe. "Weißt du, meine Eltern bemühten sich wirklich, aber sie haben es trotzdem nicht geschafft, aus uns eine normale Familie zu machen. Wir wurden verhöhnt, die Leute tratschten, und ich bekam das natürlich mit. Es war oft nicht leicht, morgens überhaupt aufzustehen und in die Schule zu gehen. Irgendwann, als ich vielleicht 14 oder 15 war, habe ich beschlossen, dass ich niemals selbst Kinder bekommen möchte, um ihnen von vorneherein jeden Schmerz zu ersparen".

"Aber auch jedes Glück?", machte ich einen Versuch, sie davon zu überzeugen, dass sie eventuellen eigenen Kindern sicher viel Schönes zu bieten hatte. Doch sie schüttelte den Kopf.

"Nein, auch mit den besten Voraussetzungen kann man soviel falsch machen. Ich möchte diese Verantwortung nie haben". Das klang verdammt entgültig und verursachte bei mir Verwirrung. Denn nach unserer ersten gemeinsamen Nacht hatten Bebe und ich nun die erste, ernstzunehmende Meinungsverschiedenheit.

 

Wir ließen das Thema dann ruhen und frühstückten weiter, während wir uns über belanglose Dinge unterhielten. Nach dem Frühstück zog sich Bebe an und ging nach Hause.

 

Pauline tauchte wieder in der Küche auf, kaum dass Bebe gegangen war. Ich nutzte die Gelegenheit um sie zu fragen, wo sie geschlafen hatte und ob es für sie in Ordnung gewesen war, dass sie nicht in ihrem Bett hatte schlafen können. Sie lachte nur und meinte, dass es überhaupt kein Problem gewesen war, sie hätte sich schon soetwas gedacht, als sie mich und Bebe nicht mehr gesehen hatte und zwinkerte mir zu. Verlegen bedankte ich mich für ihr Verständnis.

Nachdem auch ich frisch geduscht war, führte mich mein Weg in meinen geliebten Garten. Viel Gemüse konnte geerntet werden, auch hatte der Zasterus Klunkerikus Geld an seinen Ästen hängen.

 

Mir ging das Gespräch mit Bebe durch den Kopf und ich überlegte mir, wie wichtig Kinder für mich in meinem Lebensplan waren. Konnte ich damit leben, ohne Kinder zu sein? Ich stellte mir Bebe und mich vor, wie wir als 80jährige Greise auf der Bank im Garten saßen, ohne Enkel auf dem Schoss. Der Gedanke gefiel mir nicht so sehr, jedoch war die andere Seite, dass Bebe und ich keine gemeinsame Zukunft hatten. Auch nicht schön. Vielleicht sollte ich den Dingen erstmal ihren Lauf lassen, schließlich waren wir ja noch jung. Ich grübelte wahrscheinlich viel zu viel. Wichtig war doch, dass wir jetzt glücklich waren. Und wenn ich an vergangene Nacht dachte, umspielte ein seliges Lächeln meine Lippen.

 

In diese Gedanken hinein klingelte mein Handy. Arglos meldete ich mich.

"GABRIEL! Wo steckst du!", brüllte mein Vater ins Handy und seine Stimme überschlug sich fast. Ich erschrak bis ins Mark.

"Vater! Was ist denn los?", fragte ich völlig durcheinander. Es musste etwas passiert sein. Ich kannte diesen Ton.

"Ich will auf der Stelle wissen, wo du bist! Und keine Lügen mehr!", schrie Vater voller Zorn.

"Aber ihr wisst doch...", begann ich, wurde jedoch von meinem Vater unterbrochen. Mir schwante übles.

"Ich sagte, keine Lügen mehr!", brüllte er und ich begann zu zittern wie damals, als ich noch ein Kind war. "Deine Mutter und ich stehen in Ochsenfort, weil wir dich überraschen wollten. Du wolltest uns ja sowieso etwas sagen und wärst morgen zu uns gekommen. Wir fahren also ahnungslos hier zur Universität und freuen uns auf dich. Wir gehen ins Sekretariat und fragen, wo Gabriel von Hohenstein wohnt und was müssen wir hören?". Seine Stimme wurde wieder lauter. "Kein Gabriel von Hohenstein an der Uni gemeldet! Ich erwarte auf der Stelle eine Erklärung!"

Ich war geschockt. Meine Eltern standen tatsächlich in diesem Moment in Ochsenfort und wollten mich besuchen kommen. Sie hatten sich die Zeit genommen! Und nun war alles aufgeflogen!

"Nun, wir warten!", blaffte mein Vater und ich sah ihn direkt vor meinem geistigen Auge: Hochroter Kopf, eine dicke Sorgenfurche auf der Stirn, dazu Adern, die an Hals und Stirn hervorquollen, zusammengezogene Augenbrauen.

"Ich erkläre es euch!", versicherte ich und schluckte, weil sich meine Stimme nicht so fest anhörte, wie sie sollte.

"Das ist ja wohl auch das Mindeste!"

"Ja, das ist es", sagte ich und schüttelte meine Angst ab. Ich war kein Kind mehr, dass man herumschubsen konnte. Meine Flucht hatte ja schließlich einen Grund gehabt, und genau diesen würde ich ihnen erklären. Als erwachsener, ebenbürtiger Mann. Nur nicht am Telefon, sondern von Angesicht zu Angesicht.

"Vater", begann ich ruhig und freute mich, dass ich so schnell wieder zu mir gefunden hatte. Der Abstand hatte mir verdammt gut getan und zeigte mir, wie richtig meine Entscheidung gewesen war. "Ich erkläre euch alles, aber bitte nicht am Telefon. Ich komme euch morgen wie ausgemacht besuchen, dann reden wir darüber"

"Warum sollten wir nocheinmal einen ganzen Tag warten, bis wir erfahren, was sich unser Sohn dabei gedacht hat, uns so schamlos anzulügen!", fragte Vater, ruhiger zwar, aber immer noch sehr wütend.

"Weil ich nicht so feige bin, das jetzt einfach am Telefon zu sagen!", sagte ich bestimmt und wusste, dass ich meinem Vater damit imponierte. Nichts hasste er so sehr wie Feiglinge und Weicheier.

Es war einen Moment still, ich hörte meine Mutter aufgeregt im Hintergrund plappern, dann wieder meinen Vater:

"Also gut, Gabriel. Wir sehen uns morgen."

"Ja. Ich komme zum Kaffee, wie besprochen", sagte ich und registrierte fassungslos, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, meinen Willen durchzusetzen.

"Du bist pünktlich um 11.00 Uhr bei uns!", bestimmte mein Vater. Ohne uns groß voneinander zu verabschieden, legten wir auf.

 

Morgen früh also. Die Stunde der Wahrheit.

Als Pauline nach Hause kam, war ich immer noch im Garten und ging immer wieder im Kopf durch, was ich meinen Eltern morgen sagen sollte. Da Gernot schon schlief, kam sie direkt zu mir raus.

"Hey, Gabe", sagte sie sanft und setzte sich zu mir.

"Hey, Line", begrüßte ich sie matt.

"Was ist los? Du siehst richtig scheiße aus!", sagte sie unverblümt. Was liebte ich ihre Direktheit!

"Hattest du auch schon dieses Gefühl, dass in einem Moment alles wunderbar ist, du richtig glücklich bist, und im nächsten alles einstürzt wie ein Kartenhaus und du es nicht aufhalten kannst?", fragte ich sie, ohne sie anzusehen. Sie ließ sich mit ihrer Antwort Zeit.

"Ja, das kenne ich auch. Damals zum Beispiel, als ich aus China hierhergezogen bin. Ich war glücklich, auf eigenen Beinen zu stehen und das Land meines Vaters kennenzulernen. Meine Eltern und Geschwister waren zwar wie ich traurig darüber, dass wir uns nicht mehr so oft sehen konnten, unterstützten mich aber so fantastisch. Und kaum war ich zwei Wochen hier, bekomme ich die Nachricht, dass mein Vater gestorben ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das für mich war. Er starb unerwartet bei einem Unfall. Ich konnte mich nicht mehr von ihm verabschieden"

"Das tut mir schrecklich leid, Pauline!", sagte ich und sah sie an. Wieder waren wir einige Zeit still.

"Was ist es bei dir?", wollte sie dann behutsam wissen. Ich erzählte ihr von dem Anruf meines Vaters, und während ich ihr alles erzählte, nahm sie meine Hand in ihre. Es hatte etwas Tröstliches.

"Morgen früh ist es also soweit: Ich werde ihnen alles sagen. Dass ich nicht studiere, dass ich den Betrieb nicht möchte und dass ich mir hier bereits ein eigenes Leben aufgebaut habe. Es wird hart, das weiß ich jetzt schon!", seufzte ich schwer und Pauline verstand mich.

"Soll ich dich begleiten?", fragte sie plötzlich und ich sah sie erstaunt an. Es hatte etwas Verlockendes, einfach Pauline mitzunehmen, damit mir meine Eltern nicht den Kopf runterreißen konnten. Ich war tatsächlich versucht, ja zu sagen. Doch dann verwarf ich die Idee wieder und schüttelte den Kopf.

"Da muss ich jetzt alleine durch", sagte ich mit fester Stimme.

"Natürlich. Das ist wahrscheinlich das Beste", meinte auch Pauline.

"Wenn Bebe vorbeikommen sollte, sag ihr bitte, dass ich zu meinen Eltern gefahren bin, sie hat nämlich keine Ahnung"

"Mach` ich, kein Problem", sagte sie. Dann blieben wir noch eine Weile sitzen, ohne etwas zu sagen, bevor wir ins Bett gingen.

 

Ich musste schließlich für die Aussprache mit meinen Eltern fit sein. 

 

 

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